Zitat von xuser
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Mahler war sich was die Reihenfolge der Sätze angeht öfters unschlüssig - hat sie sogar mehrfach geändert, nicht nur bei der 6. Symphonie. Der Grund dafür liegt einmal in der veränderten Konzeption der klassischen Symphonie. Schon in der Romantik gibt es die Tendenz, daß sich der Mittelpunkt der Symphonie vom Kopfsatz auf das Finale verschiebt. (Paul Bekker spricht mit Bezug auf Mahler von "Finalsymphonien.") An die Stelle der klassischen Symmetrie treten dann inhaltliche Verknüpfungen der Sätze und die Mittelsätze (Scherzo und langsamer Satz) werden zu Intermezzi. Als Intermezzi sind sie dann im Prinzip in ihrer Anordnung variabel. Das erklärt Mahlers Schwanken und Unschlüssigkeit, ist aber nur die eine Seite. Mahler hat seinen Symphonien ja - besonders den frühen - Programme mitgegeben, wo die Satzfolge als Lebensgeschichte aufgefaßt wird, ein Subjekt, das Erfahrungen mit der Welt macht: Jeder Satz ist sozusagen das Kapitel einer Lebensgeschichte. Von dieser programmatischen Seite her ist die Satzfolge dann nicht mehr beliebig. Es gibt nun deutliche Parallelen was den Aufbau angeht der 6. zur 1. Symphonie. Der Kopfsatz endet nämlich in beiden Symphonien mit einer Apotheose. D.h. das Subjekt glaubt, ihm gehört die Welt. Dann stürzt es sich, den Schwung aus dem Kopfsatz mitnehmend, im Scherzo in die Welt. Im langsamen Satz kommt dann die Besinnung, die Einkehr nach innen. Das Andante in der 6. Symphonie vor dem Scherzo zu plazieren raubt der Schlußapotheose des Kopfsatzes den Sinn. Im Andante gibt es nämlich einen der berühmten Durchbruchs- und Ausbruchsversuche bei Mahler: Das Subjekt will aus der Welt mit ihrem ganzen Jammer entfliehen - das Motiv der Kuhglocken aus dem 1. Satz, Symbol der Erdenferne, wird zitiert. Die Dramaturgie der Satzfolge Andante-Scherzo ist deshalb einfach unstimmig: Auf die Apotheose kann man schlecht die Weltflucht unmittelbar folgen lassen. Dazwischen gehört die Erfahrung mit der Welt mit ihrem Jammer (das Scherzo) - und dann kommt die Flucht als Reaktion darauf. Die Änderung der Satzfolge bewirkt nur, daß die Mittelsätze nur noch als Intermezzi erscheinen und ein solcher programmatischer Sinn nicht mehr rekonstruierbar ist. Ein so erfahrener Mahler-Dirigent wie Bernhard Haitink hat deshalb - trotz der neuen Mahler-Ausgabe - die alte Reihenfolge beibehalten. Leider denken viele Dirigenten einfach, sie müßten sich an der neuen Ausgabe orientieren und denken über solche Sinnprobleme nicht weiter nach.
P.S.: Daß man bei der Aufnahme der Duisburger Symph. die Reihenfolge ändern kann, war natürlich nur ein Scherz. Der Dirigent stimmt die Wahl der Tempi usw. auf die Satzfolge ab. Das ist eine Festlegung, die kann man nicht rückgängig machen.
Beste Grüße
Holger
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