Annees de Pelerinage (II) Italien (1)
Im zweiten Band, dem Land der Sehnsucht Italien gewidmeten Band der „Années...“ wird neben der Literatur die Malerei und bildende Kunst mit einbezogen.
1. Sposalizio
Liszts musikalische Italienreise eröffnet sehr eindrucksvoll mit einer Huldigung Raffaels, seines Gemäldes Vermählung der heiligen Jungfrau („Sposalizio“).
Raffaels “Sposalizio” (Abb.):
Liszt hatte dieses Bild bereits 1837 in Brera betrachtet, seine Bedeutung aber wohl erst später erkannt durch seine Freundschaft mit dem Maler Auguste Dominique Ingres (1780-1867), einem Klassizisten, der in der Kunstgeschichte seinen Platz hat nicht zuletzt durch seinen Streit mit Eugène Delacroix über die Bedeutung der „Linie“ in der Malerei. Ingres spielte nicht nur vorzüglich Geige und musizierte mit Liszt zusammen, sondern führte ihn durch die römischen Museen. In diesem Klavierstück huldigt Liszt der Raffael-Begeisterung der Romantik. Raffael, der Sanftmütige und Edle, verkörpert mit seiner hellen Freundlichkeit nicht nur den Antipoden zum finsteren und wilden Michelangelo, sondern vor allem das religiös „vergeistigte“ Wesen einer Malerei, die in zauberhafte Weise die „Sonne des Friedens“ über die Dinge ausbreitet, wie es bei Wackenroder und Tieck heißt, was sich jedem, der einmal ein Raffael-Gemälde im Original gesehen hat, sofort erschließt. Die Darstellung Marias im Besonderen verkörpert das geistige Bild „himmlischer Vollkommenheit“, eine Göttlichkeit, welche den Betrachter rühren und überwältigen soll, wie es wiederum bei Wackenroder und Tieck („Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, 1797) zu lesen ist.
Die „Sonne des Friedens“ – Liszts Klavierstück mit seiner kontemplativen Sinnlichkeit strahlt diese wahrlich aus. Der Hörer wird in eine Stimmung der „Andacht“ versetzt, die einerseits betörende Ruhe und Schönheit, aber auch Ergriffenheit, hymnische Extase, vermittelt. Maria und Josef stehen bei Raffael, einander zugeneigt, vor einem klassischen Tempel. Es wird so der Bezug hergestellt zur Antike und Liszt wird hier gewiss unter dem Einfluß Ingres den Geist Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768) eingefühlt haben, der mit Blick auf die griechische Architektur und Plastik die Formel des Klassizismus, „edle Einfalt und stille Größe“, prägte. Das sollte der Interpret von Liszts Klavierstück nicht vergessen. Wenn man Liszts Klavierstück programmatisch interpretieren möchte wie Serge Gut es tut, dann kann man die Zuneigung von Maria und Josef in der harmonischen Vereinigung der beiden Hauptthemenkomplexe sehen, die sich zu einem gewaltigen Hymnus steigert, bevor die Musik in wahrlich verzaubernder Stille friedlich und freundlich endet.
Die Biographen bemerken die Ähnlichkeit von Marias Gesichtszügen auf Raffaels Bild mit denen von Liszts Geliebter Marie d´Agoult. Liszt hat dieses Stück später für Orgel und Frauenstimmen umgeschrieben und im Mittelteil mehrfach mit einem >Ave Maria< versehen – dies war bei Liszt immer auch eine Anspielung auf „seine“ Maria. Das Bild der göttlichen, himmlischen Liebe in der Vermählung der Jungfrau Maria wird hier also mit der irdischen Liebe Liszts verschränkt. Heinrich Heine hat solche romantischen Identifizierungen ironisch thematisiert in seinem Gedicht „Im Rhein, im schönen Strome“, wo es in der letzten Strophe heißt:
Es schweben Blumen und Engelein
Um unsre liebe Frau;
Die Augen, die Lippen, die Wängelein
Die gleichen der Liebsten genau.
Liszt, der dieses Heine-Gedicht vertonte, hat diese Zeilen bezeichnend ganz unironisch ernst genommen. Die romantische Ästhetisierung des Religiösen zu einem „Kunstgefühl“ umgibt nicht nur das Profane mit dem Schimmer des Heiligen, sie säkularisiert zugleich das Heilige: Poesie und Prosa, Alltägliches und Unalltägliches, werden eins.
2. Il Penseroso
Der Titel (eigentlich Il Pensieroso, „der Nachdenkliche“) bezieht sich auf Michelangelos Grabmal der Medici:
und die folgende Inschrift von Michelangelo:
Antwort
Schlaf ist mir lieb, doch über alles preise
Ich, Stein zu sein.. Währt Schande und Zerstören,
Nenn ich es Glück: nicht sehen und nicht hören.
Drum wage nicht zu wecken. Ach! Sprich leise.
Michelangelo Buonarroti (1475-1564)
übersetzt von Rainer Maria Rilke
Der schlafende Tote hat vom Elend der Welt zuviel gesehen und will nicht aufgeweckt werden, zieht die Totenstille dem Weltgetriebe vor. Liszts Klavierstück komponiert entsprechend sehr eindrucksvoll in Stein gemeißelte Gedanken, die im Bass wie versteinert leise daherschleichen, sich schlaftrunken und nahezu reglos um sich selbst bewegen in kühner Harmonik.
3. Canzonetta del Salvator Rosa
Oft ändere ich den Ort,
an dem ich mich aufhalte;
doch niemals werde ich meine Gefühle ändern;
das Feuer meiner Liebe wird dasselbe bleiben,
und auch ich bleibe derselbe.
Liszt hat den italienischen Originaltext dem munteren Stück unterlegt zum Mitsingen. Man schrieb das Lied dem Maler Salvator Rosa zu, die Melodie stammt aber von Giovanni Battista Bononcini. Sein Inhalt ist eine Beschwörung des fahrenden Ritters und seiner Tugend der constantia: Der Abenteurer, mutig und lebenslustig, bleibt auch in der fremden Welt und ihren Turbulenzen, wo ihm immer Neues begegnet, sich selbst und seiner Liebe treu. Ist das etwa eine Metapher für den rastlos reisenden Virtuosen Liszt, der seine Gefühle zu seiner Geliebten daheim niemals vergisst?
Im zweiten Band, dem Land der Sehnsucht Italien gewidmeten Band der „Années...“ wird neben der Literatur die Malerei und bildende Kunst mit einbezogen.
1. Sposalizio
Liszts musikalische Italienreise eröffnet sehr eindrucksvoll mit einer Huldigung Raffaels, seines Gemäldes Vermählung der heiligen Jungfrau („Sposalizio“).
Raffaels “Sposalizio” (Abb.):
Liszt hatte dieses Bild bereits 1837 in Brera betrachtet, seine Bedeutung aber wohl erst später erkannt durch seine Freundschaft mit dem Maler Auguste Dominique Ingres (1780-1867), einem Klassizisten, der in der Kunstgeschichte seinen Platz hat nicht zuletzt durch seinen Streit mit Eugène Delacroix über die Bedeutung der „Linie“ in der Malerei. Ingres spielte nicht nur vorzüglich Geige und musizierte mit Liszt zusammen, sondern führte ihn durch die römischen Museen. In diesem Klavierstück huldigt Liszt der Raffael-Begeisterung der Romantik. Raffael, der Sanftmütige und Edle, verkörpert mit seiner hellen Freundlichkeit nicht nur den Antipoden zum finsteren und wilden Michelangelo, sondern vor allem das religiös „vergeistigte“ Wesen einer Malerei, die in zauberhafte Weise die „Sonne des Friedens“ über die Dinge ausbreitet, wie es bei Wackenroder und Tieck heißt, was sich jedem, der einmal ein Raffael-Gemälde im Original gesehen hat, sofort erschließt. Die Darstellung Marias im Besonderen verkörpert das geistige Bild „himmlischer Vollkommenheit“, eine Göttlichkeit, welche den Betrachter rühren und überwältigen soll, wie es wiederum bei Wackenroder und Tieck („Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, 1797) zu lesen ist.
Die „Sonne des Friedens“ – Liszts Klavierstück mit seiner kontemplativen Sinnlichkeit strahlt diese wahrlich aus. Der Hörer wird in eine Stimmung der „Andacht“ versetzt, die einerseits betörende Ruhe und Schönheit, aber auch Ergriffenheit, hymnische Extase, vermittelt. Maria und Josef stehen bei Raffael, einander zugeneigt, vor einem klassischen Tempel. Es wird so der Bezug hergestellt zur Antike und Liszt wird hier gewiss unter dem Einfluß Ingres den Geist Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768) eingefühlt haben, der mit Blick auf die griechische Architektur und Plastik die Formel des Klassizismus, „edle Einfalt und stille Größe“, prägte. Das sollte der Interpret von Liszts Klavierstück nicht vergessen. Wenn man Liszts Klavierstück programmatisch interpretieren möchte wie Serge Gut es tut, dann kann man die Zuneigung von Maria und Josef in der harmonischen Vereinigung der beiden Hauptthemenkomplexe sehen, die sich zu einem gewaltigen Hymnus steigert, bevor die Musik in wahrlich verzaubernder Stille friedlich und freundlich endet.
Die Biographen bemerken die Ähnlichkeit von Marias Gesichtszügen auf Raffaels Bild mit denen von Liszts Geliebter Marie d´Agoult. Liszt hat dieses Stück später für Orgel und Frauenstimmen umgeschrieben und im Mittelteil mehrfach mit einem >Ave Maria< versehen – dies war bei Liszt immer auch eine Anspielung auf „seine“ Maria. Das Bild der göttlichen, himmlischen Liebe in der Vermählung der Jungfrau Maria wird hier also mit der irdischen Liebe Liszts verschränkt. Heinrich Heine hat solche romantischen Identifizierungen ironisch thematisiert in seinem Gedicht „Im Rhein, im schönen Strome“, wo es in der letzten Strophe heißt:
Es schweben Blumen und Engelein
Um unsre liebe Frau;
Die Augen, die Lippen, die Wängelein
Die gleichen der Liebsten genau.
Liszt, der dieses Heine-Gedicht vertonte, hat diese Zeilen bezeichnend ganz unironisch ernst genommen. Die romantische Ästhetisierung des Religiösen zu einem „Kunstgefühl“ umgibt nicht nur das Profane mit dem Schimmer des Heiligen, sie säkularisiert zugleich das Heilige: Poesie und Prosa, Alltägliches und Unalltägliches, werden eins.
2. Il Penseroso
Der Titel (eigentlich Il Pensieroso, „der Nachdenkliche“) bezieht sich auf Michelangelos Grabmal der Medici:
und die folgende Inschrift von Michelangelo:
Antwort
Schlaf ist mir lieb, doch über alles preise
Ich, Stein zu sein.. Währt Schande und Zerstören,
Nenn ich es Glück: nicht sehen und nicht hören.
Drum wage nicht zu wecken. Ach! Sprich leise.
Michelangelo Buonarroti (1475-1564)
übersetzt von Rainer Maria Rilke
Der schlafende Tote hat vom Elend der Welt zuviel gesehen und will nicht aufgeweckt werden, zieht die Totenstille dem Weltgetriebe vor. Liszts Klavierstück komponiert entsprechend sehr eindrucksvoll in Stein gemeißelte Gedanken, die im Bass wie versteinert leise daherschleichen, sich schlaftrunken und nahezu reglos um sich selbst bewegen in kühner Harmonik.
3. Canzonetta del Salvator Rosa
Oft ändere ich den Ort,
an dem ich mich aufhalte;
doch niemals werde ich meine Gefühle ändern;
das Feuer meiner Liebe wird dasselbe bleiben,
und auch ich bleibe derselbe.
Liszt hat den italienischen Originaltext dem munteren Stück unterlegt zum Mitsingen. Man schrieb das Lied dem Maler Salvator Rosa zu, die Melodie stammt aber von Giovanni Battista Bononcini. Sein Inhalt ist eine Beschwörung des fahrenden Ritters und seiner Tugend der constantia: Der Abenteurer, mutig und lebenslustig, bleibt auch in der fremden Welt und ihren Turbulenzen, wo ihm immer Neues begegnet, sich selbst und seiner Liebe treu. Ist das etwa eine Metapher für den rastlos reisenden Virtuosen Liszt, der seine Gefühle zu seiner Geliebten daheim niemals vergisst?
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