Ein Exzentriker ist jemand, der außerhalb der Mitte steht. Diese Außenseiterposition bringt es mit sich, dass sie allzu oft als befremdlich und irritierend empfunden wird: Das, was man zunächst nicht einordnen kann, stiftet immer auch einen Moment von Verwirrung, denn es fehlt der Bezugsrahmen, eine solche Erscheinung deuten zu können. Am Beispiel von Samson Francois habe ich selbst diese Erfahrung machen können in einer schwankenden Reaktion, die von spontan leidenschaftlicher Ablehnung in doch so etwas wie nachhaltiger Bewunderung umgeschlagen ist. Wie kann mir als doch gewiss nicht unerfahrenem Musikhörer so etwas passieren? Dem lohnt es sich auf den Grund zu gehen. Zunächst mein Verriß von Francois´ Darstellung von Chopins b-moll-Sonate - die mit dem berühmten "Trauermarsch" - der anschließenden ästhetischen Reflexion folgt dann eine zweite Kritik, welche diese erste korrigiert:
Kritik 1: An dem französischen Pianisten Samson Francois scheiden sich die Geister. Die einen halten ihn für genialisch, die anderen für einen musikalischen Dilettanten. Die Studioaufnahme der b-moll-Sonate, die er in Paris 1964 für EMI machte, bleibt den Beweis eines Geniestreiches letztlich schuldig. Einen Vergleich mit Vladimir Horowitz vermag Francois auch nicht im entferntesten standzuhalten. Was diese Einspielung mit Horowitz früher Aufnahme bei RCA in der Tat vergleichbar macht, ist die Missachtung des guten Geschmacks. Doch Horowitz ist ein wahres Genie. Sein Vortrag ist dramaturgisch und emotional schlüssig, zudem versteht er es, die musikalische Linienführung, die bei Chopin so eminent wichtig ist, bei aller Theatralik prägnant nachzuzeichnen. Nichts davon findet sich bei Samson Francois. Die Grave-Einleitung poltert gewissermaßen herein, das ist einfach nur hart und unschön. Die Sforzato-Oktave des einsetzenden Hauptthemas wird oktaviert. Aber anders als ABM geht es Francois nicht darum, dem Sforzato seine Klobigkeit zu nehmen, sondern um den bloßen Effekt. Der Vortrag des Hauptthemas ist zwar dynamisch-bewegt, lässt jedoch jegliche rhythmische Präzision vermissen. Das Seitenthema setzt ein mit einer eigenwilligen Oktavierung: keine lyrische Innigkeit, die sich da entwickelt, kein Charaktergegensatz der Themen, ein wiederum sehr äußerlich theatralischer Vortrag. Chopins Seitenthema stellt eigentlich eine Insel der Ruhe im tobenden Chaos dar mit seiner zur Formgestalt verdichteten eher amorphen Struktur, die es mit dem Hauptthemenkomplex gemeinsam hat. Francois fehlt hier schlicht jeglicher musikalischer Sachverstand. Die Melodie wird zerfasert, löst sich auf ein Potpourri von Einzelereignissen. Ein Klavierspiel gänzlich ohne Linie: das ist die „Todsünde“ guten Chopin-Spiels! Die Expositionswiederholung lässt Francois ausfallen und stürzt sich gleich in die Durchführung, die wiederum klobig und bar jedem Anflug von musikalisch treffsicherem Geschmack einsetzt. Den musikalischen Fluss bringt der Franzose zum Stillstand – das Geschehen wird hoffnungslos zerdehnt. Eine schlüssige musikalisch-dramatische Entwicklung kann so gar nicht erst entstehen. Da staunt man und hält es eigentlich nicht für möglich: Was ist das nur für ein unbeherrscht-undiszipliniertes, kopfloses Klavierspiel! Das Scherzo bestätigt wiederum dieses Bild: Ein unschönes, hartes Forte, dass sich dem durchgängigen Eindruck eines geschmacklosen Vortrags ohne zündenden genialischen Funken einfügt. Das klingt einfach grob, ein Vortrag ohne jegliche an der Form orientierte Disziplin. Das Trio zeigt geradezu schlaglichtartig die Unfähigkeit des Interpreten auf, einen Chopin-Stil zu finden: Das Rubato-Spiel verlangt Individualität, zweifellos. Aber das Rubato muss letztlich unauffällig bleiben, den Melodiebögen zum Schwingen verhelfen. Francois dagegen verzögert wie ein musikalischer Tolpatsch: ein aufgesetzter Rubato-Gestus, der in seiner unorganischen Willkür einmal mehr jegliche musikalische Linie zerstört. Den Trauermarsch nimmt er zügig und er gewinnt durchaus einen schäbigen, abgenutzten Ausdruck. Doch die dynamischen Steigerungen bleiben flach. Das lyrische Intermezzo irritiert mit „durty play“, ungeschickt holprigem Rubato-Spiel, eigenwilligen Akzentuierungen, welche organisches Wachstum der Melodiezellen gar nicht erst zulassen. Die Wiederholungen spart sich Francois – wie später Ivo Pogorelich. Der Mittelteil bekommt durchaus expressive Züge. Die Reprise des Trauermarsches mit ihren Oktavierungen im Pianissimo zeugt von nichts anderem als pianistisch vordergründiger Effekthascherei, von Schauerromantik ohne wirklichen Schrecken: Das ist Kinomusik für Hörer, die bequem im Plüschsessel sitzen und ihre süßen Bonbons kauen. Der Schluss verdämmert wie bei Rachmaninow im Pianissimo. Es folgt ein Presto-Finale im gemächlichen Tempo, klaviertechnisch eindeutig in der hinteren Reihe. Hier bekommt die Konturlosigkeit von Francois Spiel schließlich doch einmal so etwas wie Sinn: Eine Aporie des Wissens, die Musik weiß nicht mehr, wohin die Reise geht. Aber auch hier wird der Hörer wieder einmal vor den Kopf gestoßen: Befremdlich geschmacklos die opulente Dramatisierung des Endes zum donnernden Forte-Schluß! Nein, nein, diese Aufnahme ist eine einzige musikalisch-ästhetische Verirrung – nicht Genie, sondern einfach Unvermögen!
Ende Teil 1
Kritik 1: An dem französischen Pianisten Samson Francois scheiden sich die Geister. Die einen halten ihn für genialisch, die anderen für einen musikalischen Dilettanten. Die Studioaufnahme der b-moll-Sonate, die er in Paris 1964 für EMI machte, bleibt den Beweis eines Geniestreiches letztlich schuldig. Einen Vergleich mit Vladimir Horowitz vermag Francois auch nicht im entferntesten standzuhalten. Was diese Einspielung mit Horowitz früher Aufnahme bei RCA in der Tat vergleichbar macht, ist die Missachtung des guten Geschmacks. Doch Horowitz ist ein wahres Genie. Sein Vortrag ist dramaturgisch und emotional schlüssig, zudem versteht er es, die musikalische Linienführung, die bei Chopin so eminent wichtig ist, bei aller Theatralik prägnant nachzuzeichnen. Nichts davon findet sich bei Samson Francois. Die Grave-Einleitung poltert gewissermaßen herein, das ist einfach nur hart und unschön. Die Sforzato-Oktave des einsetzenden Hauptthemas wird oktaviert. Aber anders als ABM geht es Francois nicht darum, dem Sforzato seine Klobigkeit zu nehmen, sondern um den bloßen Effekt. Der Vortrag des Hauptthemas ist zwar dynamisch-bewegt, lässt jedoch jegliche rhythmische Präzision vermissen. Das Seitenthema setzt ein mit einer eigenwilligen Oktavierung: keine lyrische Innigkeit, die sich da entwickelt, kein Charaktergegensatz der Themen, ein wiederum sehr äußerlich theatralischer Vortrag. Chopins Seitenthema stellt eigentlich eine Insel der Ruhe im tobenden Chaos dar mit seiner zur Formgestalt verdichteten eher amorphen Struktur, die es mit dem Hauptthemenkomplex gemeinsam hat. Francois fehlt hier schlicht jeglicher musikalischer Sachverstand. Die Melodie wird zerfasert, löst sich auf ein Potpourri von Einzelereignissen. Ein Klavierspiel gänzlich ohne Linie: das ist die „Todsünde“ guten Chopin-Spiels! Die Expositionswiederholung lässt Francois ausfallen und stürzt sich gleich in die Durchführung, die wiederum klobig und bar jedem Anflug von musikalisch treffsicherem Geschmack einsetzt. Den musikalischen Fluss bringt der Franzose zum Stillstand – das Geschehen wird hoffnungslos zerdehnt. Eine schlüssige musikalisch-dramatische Entwicklung kann so gar nicht erst entstehen. Da staunt man und hält es eigentlich nicht für möglich: Was ist das nur für ein unbeherrscht-undiszipliniertes, kopfloses Klavierspiel! Das Scherzo bestätigt wiederum dieses Bild: Ein unschönes, hartes Forte, dass sich dem durchgängigen Eindruck eines geschmacklosen Vortrags ohne zündenden genialischen Funken einfügt. Das klingt einfach grob, ein Vortrag ohne jegliche an der Form orientierte Disziplin. Das Trio zeigt geradezu schlaglichtartig die Unfähigkeit des Interpreten auf, einen Chopin-Stil zu finden: Das Rubato-Spiel verlangt Individualität, zweifellos. Aber das Rubato muss letztlich unauffällig bleiben, den Melodiebögen zum Schwingen verhelfen. Francois dagegen verzögert wie ein musikalischer Tolpatsch: ein aufgesetzter Rubato-Gestus, der in seiner unorganischen Willkür einmal mehr jegliche musikalische Linie zerstört. Den Trauermarsch nimmt er zügig und er gewinnt durchaus einen schäbigen, abgenutzten Ausdruck. Doch die dynamischen Steigerungen bleiben flach. Das lyrische Intermezzo irritiert mit „durty play“, ungeschickt holprigem Rubato-Spiel, eigenwilligen Akzentuierungen, welche organisches Wachstum der Melodiezellen gar nicht erst zulassen. Die Wiederholungen spart sich Francois – wie später Ivo Pogorelich. Der Mittelteil bekommt durchaus expressive Züge. Die Reprise des Trauermarsches mit ihren Oktavierungen im Pianissimo zeugt von nichts anderem als pianistisch vordergründiger Effekthascherei, von Schauerromantik ohne wirklichen Schrecken: Das ist Kinomusik für Hörer, die bequem im Plüschsessel sitzen und ihre süßen Bonbons kauen. Der Schluss verdämmert wie bei Rachmaninow im Pianissimo. Es folgt ein Presto-Finale im gemächlichen Tempo, klaviertechnisch eindeutig in der hinteren Reihe. Hier bekommt die Konturlosigkeit von Francois Spiel schließlich doch einmal so etwas wie Sinn: Eine Aporie des Wissens, die Musik weiß nicht mehr, wohin die Reise geht. Aber auch hier wird der Hörer wieder einmal vor den Kopf gestoßen: Befremdlich geschmacklos die opulente Dramatisierung des Endes zum donnernden Forte-Schluß! Nein, nein, diese Aufnahme ist eine einzige musikalisch-ästhetische Verirrung – nicht Genie, sondern einfach Unvermögen!
Ende Teil 1
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