ACT
"Die größten Jazzproduzenten waren Deutsche"
Siegfried Loch, der erfolgreichste und interessanteste Verleger von Jazz in Deutschland, über seine ungewöhnliche Karriere
Die Welt:
Sie waren über 30 Jahre lang Topmanager im Popgeschäft, sie entdeckten Westernhagen und erfanden Katja Epstein. Dann warfen Sie alles hin und gründeten eine kleine Jazzplattenfirma. Warum?
Siegfried Loch:
Ich bin zum Jazz gekommen, nachdem ich zufällig 1955 in Hannover Sydney Bechet gehört hatte. Dieser Abend hat mein Leben verändert: Ich wollte Jazz-Produzent werden. Das Label Blue Note wurde von zwei ausgewanderten Deutschen gegründet, Fred Lion und Francis Wolff waren keine Musiker. Also dachte ich, das kannst du auch.
Wie kam man damals ins Musikgeschäft?
Ich bin Vertreter geworden, mit einem VW herumgefahren und hab schwere Musterkoffer mit Schallplatten ausgeladen, ein Knochenjob. Ich war begeistert davon, Platten zu verkaufen. Das hat sich nie geändert.
Sie wurden aber schnell Produzent. Wie?
1962 war ich bei Philips Ton. Dann hörte ich in Düsseldorf Klaus Doldinger. Es war ein sensationeller Auftritt, alle haben verrückt gespielt, und ich bin hinter die Bühne gelaufen und hab gesagt: Ich möchte gern Platten mit ihnen machen. Nur war ich dazu gar nicht befugt, ich hab meinen Boss in Hamburg später überredet. Das klappte aber und plötzlich war ich Produzent.
Aber Sie wollten doch eine eigene Plattenfirma?
Genau. Nach Stationen bei EMI Electrola und Philips Ton ging ich nach München und wollte mein Act-Label gründen. Plötzlich kam Al Bennet auf mich zu, der Eigentümer von Liberty Records. Der hatte über die Beatles von mir gehört. Er sagte, bau mir eine Plattenfirma in Europa auf. Ich war 25, viel zu jung, hab dann gesagt: Nee, ich will ein Jazzlabel aufmachen. Dann sagte er, Jazz? Was hältst Du denn von Blue Note? Das hab ich gerade gekauft. Dann war ich doch dabei. Ich hab also Liberty in München gegründet und war der jüngste Schallplattenchef Europas.
Dann gingen sie zu Atlantic Records, wurden später sogar Europachef von WEA. Sie waren einer der größten Musikmanager Europas. Wurden Sie nicht ausgelacht, als Sie das hinwarfen?
Ja, das hat keiner verstanden. Aber ich musste es tun, sonst wär's in diesem Leben nie mehr etwas geworden mit meiner eigenen Firma. Dann hab ich 1992 endlich Act gegründet.
Was ist das Besondere an Act?
Wir sind unabhängig. Seit 15 Jahren mache ich Act, ohne einen Pfennig da rauszuziehen. Alle Gewinne werden immer wieder reinvestiert, in neue Künstler. In der Schallplattenindustrie geht's seit sieben Jahren in den Keller, wir wachsen aber.
Haben sie irgendwas mal bedauert?
Nein. Ich hatte sogar mal Roger Cicero als tollen Sänger erkannt. Wir wollten einen Vertrag machen und er kam mit diesen deutsch gesungenen Swing-Sachen. Ich wollte das aber nicht für Act. Meine Motivation ist nicht der Kommerz, und Rogers Sachen haben mich künstlerisch nicht berührt. Dann hat er eine andere Firma gefunden und dort eine Million CDs verkauft oder so. Egal, ich mache nur Sachen, an die ich glaube.
Hätten Sie gern Giganten wie Keith Jarrett im Programm?
Ich hätte mit dem gleichen Aufwand nur Amis unter Vertrag nehmen können und wäre viel erfolgreicher als ich es heute bin. Ich hätte Al Jarreau haben können, den ich von Anfang an kenne, oder Manhattan Transfer. Die letzte CD von Sonny Rollins ist mir angeboten worden. Das war eine große Ehre, trotzdem hab ich nein gesagt.
Warum?
Wir bauen lieber neue Künstler auf. Ich habe das Ebjörn Svensson Trio (EST) aufgebaut, die heute mit Abstand erfolgreichsten Jazzkünstler. EST verkauft viel mehr Platten als Keith Jarrett. Und wir sind jetzt Nummer eins der Jazzcharts mit Nils Landgren. Nach einem Jahr haben wir Roger Cicero verdrängt. Sowas macht Spaß! Ich verehre Keith Jarrett und schmeiße mich in den Staub vor ihm. Aber ich muss ihn nicht im Label haben. Er hat auch ein Label und ist glücklich dort.
Nämlich die Firma ECM aus München. Deren Chef Manfred Eicher ist heute der einzige andere großen Jazzproduzenten in Deutschland außer ihnen...
Manfred Eicher ist der Größte von allen. Er ist der einzige, dem ich auf Augenhöhe sagen würde, du hast das beste Jazzlabel, das es gibt auf der Welt. Nur ihn kann man mit dem alten Blue Note von 1968 in einem Atemzug nennen. Die beiden wichtigsten Jazz-Labels, Blue Note und ECM, sind von Deutschen gegründet worden. Eicher hat genau 69 begonnen, in dem Jahr, als Blue Note verkauft wurde.
...an Warner Music, für die Sie auch bald arbeiteten sollten...
Karl Egger, der Gründer von ECM, hat damals mit Warner einen Vertriebs-Deal gemacht, der für sein Label ECM ganz wichtig war. Die Warner-Leute hatten mich vorher um Rat gefragt, das weiß übrigens bis heute gar keiner, und ich habe natürlich gesagt, ja, das Label ist wunderbar.
Ihre eigene Firma Act ist heute mit jungen Deutschen und vor allem mit Skandinaviern erfolgreich. Wie kam das?
Beim Jazz-Baltica-Festival 1994 habe ich Nils Landgren gehört und war begeistert. Alle sagten, lass die Finger davon, niemand wartet auf eine schwedische Funkband. Mir war das egal. Heute ist er einer der erfolgreichsten Jazzer. Durch ihn kamen dann immer mehr Schweden zu uns.
In den Jazzclubs sieht man heute auch junge Fans. Lebt Jazz wieder?
Die Jungen kommen, weil sie Altersgenossen auf der Bühne sehen. Die sind offener, ihre Inspirationsquellen sind auch Popmusik oder Klassik. Wir haben in Deutschland zum ersten Mal eine junge Generation von Jazzmusikern, die in Europa mithalten wird.
Wen meinen Sie?
Til Brönner kann es erreichen, er ist noch nicht so weit. Gerade kommt eine neue Generation, Michael Wollny etwa, die eine ganz eigene Handschrift hat und international alle Chancen. Das ist jetzt mein Thema, deswegen manche ich jetzt Konzerte unter dem Titel "Young German Jazz". Ich fordere alle auf, mitzumachen, ich möchte das gar nicht für Act reklamieren.
quelle http://www.welt.de/welt_print/articl..._Deutsche.html
"Die größten Jazzproduzenten waren Deutsche"
Siegfried Loch, der erfolgreichste und interessanteste Verleger von Jazz in Deutschland, über seine ungewöhnliche Karriere
Die Welt:
Sie waren über 30 Jahre lang Topmanager im Popgeschäft, sie entdeckten Westernhagen und erfanden Katja Epstein. Dann warfen Sie alles hin und gründeten eine kleine Jazzplattenfirma. Warum?
Siegfried Loch:
Ich bin zum Jazz gekommen, nachdem ich zufällig 1955 in Hannover Sydney Bechet gehört hatte. Dieser Abend hat mein Leben verändert: Ich wollte Jazz-Produzent werden. Das Label Blue Note wurde von zwei ausgewanderten Deutschen gegründet, Fred Lion und Francis Wolff waren keine Musiker. Also dachte ich, das kannst du auch.
Wie kam man damals ins Musikgeschäft?
Ich bin Vertreter geworden, mit einem VW herumgefahren und hab schwere Musterkoffer mit Schallplatten ausgeladen, ein Knochenjob. Ich war begeistert davon, Platten zu verkaufen. Das hat sich nie geändert.
Sie wurden aber schnell Produzent. Wie?
1962 war ich bei Philips Ton. Dann hörte ich in Düsseldorf Klaus Doldinger. Es war ein sensationeller Auftritt, alle haben verrückt gespielt, und ich bin hinter die Bühne gelaufen und hab gesagt: Ich möchte gern Platten mit ihnen machen. Nur war ich dazu gar nicht befugt, ich hab meinen Boss in Hamburg später überredet. Das klappte aber und plötzlich war ich Produzent.
Aber Sie wollten doch eine eigene Plattenfirma?
Genau. Nach Stationen bei EMI Electrola und Philips Ton ging ich nach München und wollte mein Act-Label gründen. Plötzlich kam Al Bennet auf mich zu, der Eigentümer von Liberty Records. Der hatte über die Beatles von mir gehört. Er sagte, bau mir eine Plattenfirma in Europa auf. Ich war 25, viel zu jung, hab dann gesagt: Nee, ich will ein Jazzlabel aufmachen. Dann sagte er, Jazz? Was hältst Du denn von Blue Note? Das hab ich gerade gekauft. Dann war ich doch dabei. Ich hab also Liberty in München gegründet und war der jüngste Schallplattenchef Europas.
Dann gingen sie zu Atlantic Records, wurden später sogar Europachef von WEA. Sie waren einer der größten Musikmanager Europas. Wurden Sie nicht ausgelacht, als Sie das hinwarfen?
Ja, das hat keiner verstanden. Aber ich musste es tun, sonst wär's in diesem Leben nie mehr etwas geworden mit meiner eigenen Firma. Dann hab ich 1992 endlich Act gegründet.
Was ist das Besondere an Act?
Wir sind unabhängig. Seit 15 Jahren mache ich Act, ohne einen Pfennig da rauszuziehen. Alle Gewinne werden immer wieder reinvestiert, in neue Künstler. In der Schallplattenindustrie geht's seit sieben Jahren in den Keller, wir wachsen aber.
Haben sie irgendwas mal bedauert?
Nein. Ich hatte sogar mal Roger Cicero als tollen Sänger erkannt. Wir wollten einen Vertrag machen und er kam mit diesen deutsch gesungenen Swing-Sachen. Ich wollte das aber nicht für Act. Meine Motivation ist nicht der Kommerz, und Rogers Sachen haben mich künstlerisch nicht berührt. Dann hat er eine andere Firma gefunden und dort eine Million CDs verkauft oder so. Egal, ich mache nur Sachen, an die ich glaube.
Hätten Sie gern Giganten wie Keith Jarrett im Programm?
Ich hätte mit dem gleichen Aufwand nur Amis unter Vertrag nehmen können und wäre viel erfolgreicher als ich es heute bin. Ich hätte Al Jarreau haben können, den ich von Anfang an kenne, oder Manhattan Transfer. Die letzte CD von Sonny Rollins ist mir angeboten worden. Das war eine große Ehre, trotzdem hab ich nein gesagt.
Warum?
Wir bauen lieber neue Künstler auf. Ich habe das Ebjörn Svensson Trio (EST) aufgebaut, die heute mit Abstand erfolgreichsten Jazzkünstler. EST verkauft viel mehr Platten als Keith Jarrett. Und wir sind jetzt Nummer eins der Jazzcharts mit Nils Landgren. Nach einem Jahr haben wir Roger Cicero verdrängt. Sowas macht Spaß! Ich verehre Keith Jarrett und schmeiße mich in den Staub vor ihm. Aber ich muss ihn nicht im Label haben. Er hat auch ein Label und ist glücklich dort.
Nämlich die Firma ECM aus München. Deren Chef Manfred Eicher ist heute der einzige andere großen Jazzproduzenten in Deutschland außer ihnen...
Manfred Eicher ist der Größte von allen. Er ist der einzige, dem ich auf Augenhöhe sagen würde, du hast das beste Jazzlabel, das es gibt auf der Welt. Nur ihn kann man mit dem alten Blue Note von 1968 in einem Atemzug nennen. Die beiden wichtigsten Jazz-Labels, Blue Note und ECM, sind von Deutschen gegründet worden. Eicher hat genau 69 begonnen, in dem Jahr, als Blue Note verkauft wurde.
...an Warner Music, für die Sie auch bald arbeiteten sollten...
Karl Egger, der Gründer von ECM, hat damals mit Warner einen Vertriebs-Deal gemacht, der für sein Label ECM ganz wichtig war. Die Warner-Leute hatten mich vorher um Rat gefragt, das weiß übrigens bis heute gar keiner, und ich habe natürlich gesagt, ja, das Label ist wunderbar.
Ihre eigene Firma Act ist heute mit jungen Deutschen und vor allem mit Skandinaviern erfolgreich. Wie kam das?
Beim Jazz-Baltica-Festival 1994 habe ich Nils Landgren gehört und war begeistert. Alle sagten, lass die Finger davon, niemand wartet auf eine schwedische Funkband. Mir war das egal. Heute ist er einer der erfolgreichsten Jazzer. Durch ihn kamen dann immer mehr Schweden zu uns.
In den Jazzclubs sieht man heute auch junge Fans. Lebt Jazz wieder?
Die Jungen kommen, weil sie Altersgenossen auf der Bühne sehen. Die sind offener, ihre Inspirationsquellen sind auch Popmusik oder Klassik. Wir haben in Deutschland zum ersten Mal eine junge Generation von Jazzmusikern, die in Europa mithalten wird.
Wen meinen Sie?
Til Brönner kann es erreichen, er ist noch nicht so weit. Gerade kommt eine neue Generation, Michael Wollny etwa, die eine ganz eigene Handschrift hat und international alle Chancen. Das ist jetzt mein Thema, deswegen manche ich jetzt Konzerte unter dem Titel "Young German Jazz". Ich fordere alle auf, mitzumachen, ich möchte das gar nicht für Act reklamieren.
quelle http://www.welt.de/welt_print/articl..._Deutsche.html
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