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Junge Künstler: Aufgehende Sterne oder Sternschnuppen

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    #16
    Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
    Die Gesamteinspielung des gesamten Klavierwerks von Scriabin mit Maria Lettberg bei Capriccio
    Ist lieferbar, ich habe sie Ende Oktober nach ca. dreiwöchiger Wartezeit bekommen (von Amazon).

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      #17
      Yuja Wang und Simon Trpceski

      Yuja Wang: Chopin: Sonate b-moll, Liszt Sonate h-moll, Scriabin-Sonate Nr. 2, Ligeti Etüden Nr. 4 u. 10, Debut Album bei der DGG

      Junge wettbewerbsgestählte Asiaten wirkten in der Vergangenheit immer ein wenig wie entsprungen aus der pädagogischen Hölle, die Grete Wehneyer beschreibt: „Czerny oder die Einzelhaft am Klavier“ – technisch makellos aber seelenlos abgespulte Musik, der man den Zwang und Drill förmlich anmerkte. Diese Zeiten sind offenbar endgültig vorbei, seit die Chinesen die Welt erobern. Chinesen sind keine Automaten, sondern Individualisten – wie Lang Lang. Und jetzt diese Yuja Wang. Wang ist ein Allerweltsname in China. Da kommt in Zukunft noch einiges auf uns zu: 200000 Absolventen des Faches Klavier an den Konservatorien! Ihre Internet-Präsentation: Eine äußerst sympathische Erscheinung. Tochter eines Tänzerin und eines Schlagzeugers, ein schönes Mädchen, da freuen sich die Marketing-Strategen. Aber weiß Gott keine zweite Vanessa Mae! Diese junge Frau ist sehr natürlich und vor allem: intelligent und eigenständig. Mit 15 Jahren erhielt sie am berühmten Curtis-Institut in Philadelphia ein Stipendium, interessiert sich für Psychologie, für westliche Kultur, beschäftigt sich mit Wagner, um Liszt besser zu verstehen. Irgend etwas spezifisch „Asiatisches“ merkt man ihr nicht an. Was auffällt, ist ihre emotionale Vielschichtigkeit und sinnliche Ausstrahlung. Ein lyrisches Naturtalent – gewisse Parallelen zu der großartigen Anna Gourari sind unverkennbar! Das Stück, was ihr zweifellos am besten liegt, ist Scriabins zweisätzige Mondschein-Sonate. Sehr lyrisch, sehr feinsinnig und vor allem: organisch-natürlich. Kein Eklektizismus a la Pogorelich. Den immens schweren zweiten Satz bewältigt sie sehr souverän. Ein bischen zu lyristisch vielleicht diese Interpretation – es fehlt ein wenig der große symphonische Atem, die konzertante Weltläufigkeit einer Sonate.

      Daß der Wettbewerbszirkus noch nicht so weit von ihr entfernt ist, davon zeugt das Programm: Es muß natürlich der pianistische Gipfel h-moll Sonate dabei sein. Aus den Köpfen junger Musiker kommt offenbar die Denkweise nicht heraus: Um mich >oben< unter den Besten zu profilieren, muß es das Schwierigste sein. Eigentlich eine Verkennung der Situation. Bei einer DGG-Produktion ist persönliches Profil gefragt. Aber solche Einwände verwischt sie durch ihr gewinnendes, hochsensibles Spiel. Da ist nichts Schulmäßiges und Etüdenhaftes dabei. Für Kraftakte ist sie mit ihren kleinen Händen ohnehin nicht geschaffen. Das ist eine sensibel-einfühlsam gespielte h-moll Sonate. Außerdem ist Yuja Wang sehr um Textgenauigkeit bemüht. Pianistisch sehr gut, aber nicht überwältigend. Die mephistophelische Fuge vielleicht ein klein bischen zu harmlos. Überhaupt fehlt dieser Liszt-Sonate das Weltmännische, das große Theater, statt dessen: Lyrismus.

      Und die b-moll-Sonate? Der Beginn motorisch-flüssig, keine allzu großen dynamischen Kontraste, keine dynamische Staffelung Piano Takt 9. Takt 25 ff. Forte. Die Akzente „>“ 25 ff., die man bei den meisten nicht hört, gut herausgearbeitet. Wunderbar das Seitenthema. Sie spielt das wahrlich wie eine geborene Chopin-Spielerin, es ist fein und hat Schmelz. Die destruktive Durchführung gestalten andere extremer, trotzdem gelingt ihr eine spannend-dramatische Darstellung. In der schwierigen Passsage Takt 138 ff. hat sie einige grifftechnische Probleme. Insgesamt eine intelligent gestaltete, gelungene Interpretation. Dagegen wirkt das Scherzo ein bischen unauffällig. Wieder sehr organisch flüssig, aber hier kann man doch etwas mehr interpretatorisches Profil zeigen. Im Trio (Takt 143 ff.) fehlt den kontrapunktischen Linien etwas die Prägnanz. Der Trauermarsch ist geschmackssicher gespielt – aber interpretatorisch wiederum eher unauffällig. Der lyrische Mittelteil wie bei den meisten Interpreten auch bei ihr zu naiv-harmlos. Unverständlich dann die Reprise des Trauermarschs. Alfred Cortot begründete die Tradition, die Bässe zu oktavieren. Dadurch bekommt der Marsch eine schauerromantische Wirkung. Cortot oder Kempff oktavieren allerdings von Anfang an. Bei Yuja Wang überzeugt mich dieser Eingriff nicht. Zu ihrer lyrischen Art passt eine solche theatralische Geste einfach nicht. Das irrlichtende Finale ist gut gespielt, aber auch wieder ein wenig unscheinbar.

      Wirklichen Kopf beweist sie, in dieses Programm zwei der musikalisch gewichtige und zudem sehr attraktiven Ligeti-Etüden einzustreuen. Sehr gelungen! Das Programm insgesamt sieht ein wenig nach Kompromiß aus: Musik, die ihr wirklich am Herzen liegt (der Scriabin, der Ligeti) mit einem >Pflichtprogramm< für aufsteigende Youngstars zu kombinieren: der Liszt, der Chopin. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte auch hier ihren Kopf durchgesetzt. Eine hochsensible, sehr intelligente Pianisten, auf die man sicher wird Acht geben müssen! Hoffentlich hat sie die richtigen Berater für die Zukunft!

      Noch jemand anders macht derzeit von sich Reden: Der Pianist mit dem unaussprechlichen Namen Simon Trpceski. Bekommt gute Kritiken. Ich war also gespannt – und wurde leider total enttäuscht wie schon lange nicht mehr: Diese Chopin-Platte ist ein Flop. Warnung an alle, die sie für 10 Euro kaufen wollen: Es lohnt sich nicht! Die Finger davon lassen und das Geld besser investieren! :P

      Auch er beginnt mit der b-moll Sonate von Chopin. Schon die Einleitung hat keinerlei Gewicht: das ist ausdrucks- und einfallslos. Das Hauptthema klingt wie auf dem Klavierwettbewerb: Sportlich, technisch sauber, aber ohne Ausdruckswert. Das Seitenthema solide, lässt persönliches Profil gänzlich vermissen. Die Durchführung habe ich wohl noch nie so indifferent und undramatisch gehört. Das Scherzo und der Trauermarsch fallen leider – man muß es sagen – durch völlige interpretatorische Profillosigkeit aus dem Rahmen. Da fehlt im Trio des Scherzo (143 ff.) jede kontrapunktische Prägnanz. Das Intermezzo im Trauermarsch zerfällt in viel zu langsamem Tempo in seine Einzelteile und erzeugt im Hörer gähnende Langeweile. Kuriosität: Die Ausdruckslosigkeit des Trauermarsches wird um so auffälliger durch die unendlich lang gehaltene Fermate am Schluß – da wird etwas musikalisch gewichtet, wo kein Gewicht ist. Das irrlichtende Finale erzeugt wiederum keinerlei Bangigkeit – technisch sauber gespielt, mehr ist dazu nicht zu sagen! Auch bei Yuja Wang fehlt dieser Sonate so etwas wie ein eigenständiges interpretatorisches Konzept. Während die junge Chinesin jedoch gewinnen kann durch ihre Persönlichkeit, ihre zweifellos außergewöhnliche lyrische Musikalität, ist dieser Trpc.... mit dem nicht zu behaltenden Namen eine graue Maus. Wer verinnerlicht eigentlich die „Einzelhaft am Klavier“, fragt man sich hier. Wer ist der Asiat? Und die 4 Scherzi: Einfach grauenvoll! Ich hatte Mühe, die Platte bis zum Ende durchzuhören. Das tragische h-moll-Scherzo ein musikalisches Leichtgewicht, das Trio eine Übung in der Kunst, die Langeweile zu ertragen. Der Beginn des b-moll-Scherzo klingt wie ein musikalischer Witz, so eine Art Kirmes-Musik. Beim 4. Scherzo fehlt jegliche dämonische Brillianz, die etwa der junge Ashkenazy entfalten konnte. Hier muß man konstatieren: Yundi Lee, der blutjunge vorletzte Chopin-Preisträger aus China, hat eine sehr subtil vielschichtige Aufnahme der Scherzi bei der DGG gemacht. Das ist schlicht und einfach musikalisch eine andere Liga!

      Nach dieser Enttäuschung habe ich keine Lust mehr, seine vielgelobte zuletzt erschienene Debussy-CD zu kaufen! :G

      Beste Grüße
      Holger

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        #18
        Hallo Holger,

        Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
        Yuja Wang: Chopin: Sonate b-moll, Liszt Sonate h-moll, Scriabin-Sonate Nr. 2, Ligeti Etüden Nr. 4 u. 10, Debut Album bei der DGG

        Yuja Wang war mir auch schon aufgefallen.



        Vielen Dank für deinen Tipp. Bei jpc gibt´s die CD momentan im Angebot.

        VG, Bernd

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          #19
          Rafal Blechacz

          Der Pole Rafal Blechacz (gesprochen: das durchgestrichene >l< wie >w<, also Rafauw) gehört zweifellos zu den jungen Pianisten, von denen man sich für die Zukunft einiges verspricht, nachdem er im Jahre 2005 mit Abstand (der 2. Preis wurde nicht vergeben und er gewann wie vor ihm sein Landsmann Krystian Zimerman alle fünf Teilwettbewerbe) den Warschauer Chopin-Preis gewann. Kürzlich kam seine Aufnahme der Chopin-Konzerte heraus, die mich sehr begeistert hat: Da ist diese elegante Leichtigkeit der polnischen Tradition (Friedman, Askenase!), gepaart mit einer sehr sprechenden Phrasierung, die den Konzerten ihre Glätte nimmt. Ein Chopin ohne übertriebene Gesten, eher intim und zurückhaltend.

          Die Handschrift ist auch in seiner im Juli 2008 aufgenommen Platte der Sonate Nr. 52 von Haydn, Beethovens Sonate op. 2 Nr. 2 und der Mozart-Sonate KV 311 zu erkennen. Keine Schnörkel, keine Mätzchen, da wird penibel der Notentext umgesetzt: Ein betont schlichtes, aber niemals langweiliges oder einfallsloses Spiel. Der Haydn hat Spielwitz. Im Vergleich mit Marc Andre Hamelin fällt Blechacz stupende Präzision und Genauigkeit auf. Hamelin erlaubt sich im ersten Satz merkwürdig romantisierende Rubati, die man - Blechacz im Ohr – dann nahezu zwangsläufig als störend empfindet. Im langsamen Satz fehlt Hamelin im Vergleich mit dem Polen die punktgenaue Phrasierung und im Finale spielt der junge Pole derart stupend-virtuos, dass selbst ein Hamelin hier nicht punkten kann. Die Grenzen von Blechacz werden dann allerdings im Vergleich mit der großartigen Monique Haas deutlich: Monique Haas spielt ebenso puristisch klar und unsentimental, sie hat aber Sinn für die Empfindsamkeit und leise Getragenheit des langsamen Satzes. Und im Kopfsatz fällt auf, dass Blechacz mit der klassischen Kunst der rhetorischen Phrasierung, dem Frage-und-Antwort-Spiel, der Kunst der kontrastierenden Gegenüberstellung der Themen, doch (noch) nicht so vertraut ist. Das Finale nimmt Monique Haas langsamer, dafür aber wirkt es deutlich plastischer charakterisiert.

          Ähnliches ist von Blechacz Auffassung der Mozart-Sonate zu sagen. Wieder makelloses Klavierspiel ohne alle Mätzchen. Aber es fehlt die innere Nähe zu Mozarts Welt, die man in der großartigen Aufnahme der kürzlich verstorbenen Alicia de Larrocha spüren kann. Das Tempo des Kopfsatzes ist eindeutig zu schnell. Was die Larrocha da alles an Kontrasten und Binnendramen herauszuarbeiten vermag, das geht bei Blechacz unter: virtuos und unbestechlich, aber glatt dieser Mozart, der bei ihm eher wie Haydn klingt. Den Grund dafür kann man auch benennen: Bei Blechacz kommt die für das 18. Jahrhundert ästhetisch prägende „Empfindsamkeit“ eindeutig zu kurz. Das zeigt sich besonders im langsamen Satz, der mit „Andante con espressione“ überschrieben ist. Bei Blechacz ist das ein kindlich-naiver Mozart, fern der Welt großen Gefühls. A. de Larrocha trifft dagegen den Ton genau: Die Schlichtheit und Mozart-typisch Unbekümmertheit ist da, aber dazu kommt eben eine empfindsame Intensität, die dem Ganzen menschliche Wärme und emotionales Gewicht gibt. Insgesamt ist dieser Mozart bei Blechacz mir noch zu jugendlich-virtuos und glattpoliert. Da kann er sicherlich noch reifen!

          Die Beethoven-Sonate fügt sich in dieses Gesamtbild ein. Wiederum der Versuch, den Notentext genau umzusetzen und eine stupende Virtuosität – die Oktaven-Triolen Takt 84 ff. beeindruckend – da hat selbst ein inzwischen gealterter Maurizio Pollini seine Probleme! Im Vergleich mit der „klassischen“ Aufnahme von Altmeister Emil Gilels fällt zu Beginn wieder eine gewisse Glätte auf: Bei Gilels gibt es gleich zur Eröffnung des „Allegro vivace“ ein Frage-Antwort-Spiel zwischen der Achtel-Figur und den in die Tiefe abgleitenden 32steln. Eine solche Beredtheit vermag Blechacz nicht zu entwickeln. Und auch die Akribie, mit der Gilels das motivische Kleinleben aufblühen lässt in berückender Schönheit, auch das gelingt Blechacz bei aller Sorgfalt dann doch nicht. Die Durchführung wirkt in den „knorrigen“ Fortepassagen ein bischen zu hart – da hat Gilels mehr klangliches „Fleisch“ und trifft den Charakter eindeutig besser. Der langsame Satz ist mit „Largo appassionato“ überschrieben und er ist bei Blechacz dann doch eine Enttäuschung. Das ist völlig unpassioniert, es gelingt ihm nicht, dem Portato in der linken Hand, diesen schweren Tropfen, Gewicht und Ausdruck zu verleihen. Allerdings muß man sagen: Auch Pollini ist das in seiner zuletzt erschienenen Aufnahme ebenso wenig gelungen. Wieder einmal kann man hier nur auf die maßstabsetzende Aufnahme von Emil Gilels verweisen. Die Eröffnung des Rondo-Finales ist ein durchaus heikler Punkt: der aufstrebende Lauf soll „Grazioso“ gespielt werden. Wie bei so vielen klingt auch das bei Blechacz bei aller Akkuratesse nicht graziös.

          Insgesamt zeigt diese Aufnahme: Hier präsentiert sich ein aufrichtiger Musiker, der pianistischen Zirkus nicht nötig hat, weil er auf die musikalische Substanz zielt. Das ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, wenn es um die Auseinandersetzung mit den Klassikern geht. Die Reife wird bei ihm sicher noch kommen!

          P.S.: Eine Besprechung seiner ersten DGG-Aufnahme der Chopin-Preludes werde ich noch folgen lassen.

          Beste Grüße
          Holger
          Zuletzt geändert von Gast; 11.11.2009, 13:10.

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            #20
            Rafal Blechacz: Chopin-Preludes


            Was für eine Debüt-Platte ! Nicht das übliche Virtuosenprogramm mit romantischen Kabinettstückchen, mit denen sich so viele Möchtegern-Klaviergrößen ins Rampenlicht des Medienzirkus rücken wollen. Das sind Chopins 24 Preludes op.28 in der ernsten Tradition von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, die einen überlegten und überlegen reifen Interpreten erfordern. Und Blechacz erfüllt diese Erwartungen, setzt Maßstäbe, eine unverwechselbar eigene Note als Chopin-Interpret. Da hat man das Gefühl, der Geburtstunde der Laufbahn eines Ausnahmepianisten vom Schlage seines Mentors und polnischem Landsmann Krystian Zimerman beizuwohnen. Dabei hat Blechacz gar nicht einmal den betörenden Diskant-Schmelz, den man traditionell von einem „Chopin-Spieler“ erwartet. Aber da ist diese unverwechselbare, sehr prägnante Phrasierung und Beachtung der Stimmführung, die sehr genau die Binnendramen und Kontraste herausarbeitet. Das zeigt er schon in Nr. 2 (Lento) – da wird die vermeintliche Begleitfigur zum tragenden rhythmischen Gerüst und die einsame Melodie immer wieder in Stimmungswechseln abschattiert bis ins feinste Piano. Das ist ein zugleich lyrisches und dramatisches Chopin-Spiel – meisterhaft etwa das Allegro pesante (Nr. 14) und das auf Mallorca entstandene Regentropfen-Prelude (Nr. 15): So organisch hat man den dramatischen Aufbau – das Auf- und Ab der Bewegungskurve – noch nicht gehört. Was Blechacz auch gestaltet, immer ist es höchst facetten und perspektivenreich, sehr persönlich und schlüssig. Sicher, der märchenhaften pianistischen Präziosität eines Ivo Pogorelich gegenüber wirkt Blechacz bisweilen etwas grobschlächtiger wie in Nr. 8 „Molto agitato“. Doch gestalterisch ist das wiederum beglückend organisch – Blechacz Stil der individuellen Natürlichkeit ist wahrlich nicht zu vergleichen mit dem gekünstelten, sozusagen im Kopf ausgedachten, auskalkulierten Konstruktivismus und Manierismus von Pogorelich. Mit Blick auf seine zweite Platte ist zudem festzustellen, dass sich Blechacz Technik weiter entwickelt hat, gerade was die Perfektion angeht: Das ist eine Entwicklung von staunenswerter Rasanz.

            Blechacz´ Chopin ist wahrlich nicht der eines romantisch-virtuosen Spiels auf der Skala der Gefühle im Banne Pagainis. So ist etwa die kürzlich erschienene Aufnahme des 24jährigen Friedrich Gulda von einer ganz anderen Welt: ungemein spontan und sinnlich in den Tonschönheiten schwelgend: das ist „romantisch-genialischer“ Chopin, den Gulda selbst später als „Jugendsünde“ nicht mehr sein eigen nennen wollte. Blechacz Klang ist schlank, mehr charakteristisch-dramatisch als romantisch-emphatisch, obwohl die Leidenschaft keineswegs fehlt. Manchmal wünschte man sich freilich etwas mehr „betörende“ schwebende Klangsinnlichkeit wie etwa in Nr. 13 oder bei den etwas trocken geratenen Echowirkungen in Nr. 17. Aber das sind nur Mäkeleien, denn entscheidend ist das interpretatorische Gesamtkonzept: Blechacz geht es nicht um Valeurs, sondern um die charakteristische „Linie“. Genau das macht seinen Chopin so modern – er bekennt sich zu einem mehr Mendelssohn nahen Chopin-Stil, d.h. einer klassisch gefassten Romantik im Geiste Goethes, was Chopin eben trefflich in die Nähe von Bach stellt. Gespannt war ich auf das Prelude op. 45. Blechacz bekannte sich in einem Interview zu Benedetti Michelangeli, der eben nicht aus der polnischen Schule stamme und dem er entscheidende Anregungen verdanke. Das merkt man deutlich beim Prelude op. 45. ABMs maßstabsetzende Aufnahme hat er offenbar ausgiebig studiert. ABM hätte an diesem Vortrag seines verspäteten „Schülers“ seine helle Freude gehabt – von Krystian Zimerman hatte er übrigens eine sehr hohe Meinung! Wie klangvoll Blechacz spielen kann, zeigt er in den beiden Nocturnes op. 62. Das ist genialisch interpretiert – ein absolut gekonntes, sehr persönliches Rubato-Spiel und eine wahrlich spannende Dramaturgie, die das Individuelle betont, ohne den Blick für den dramatischen Zusammenhang zu verlieren. Überragend! Das 2. der Nocturne habe ich mir gleich zweimal hintereinander angehört – wozu mich sein Vortrag der Preludes sicher ebenso verleiten wird!

            Unbedingt empfehlenswert!

            Beste Grüße
            Holger

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              #21
              Hallo Holger,

              ich kenne die Aufnahme - noch - nicht, aber dem Grundtenor deiner Besprechung, dass Blechazc keinen sinnlich-romantischen Ton, sondern einen eher klassisch geprägten pflegt, kann ich nach den mir bekannten Aufnahmen der Konzerte und meinem persönlichen Eindruck beim letzten Konzertbesuch nur zustimmen. Das ist bei Chopin wahrscheinlich eher ungewöhnlich, erinnert mich aber etwas an Arthur Rubinstein. Kein Chopin für den Salon, zum Entzücken der anwesenden Damen, sondern eher kräftig, um nicht zu sagen männlich-herb. Er muss aber imo ein wenig aufpassen, dass er nicht zu sehr in ein Virtuosentum abgleitet, in dem die klangliche Aussage, die Musik etwas zu kurz kommt. Diesen Eindruck hatte ich - bei aller Begeisterung für seine enormen technischen Fähigkeiten - bei dem Konzert.

              Ich muss mir die Preludés aber jetzt wirklich besorgen ...



              Noch identifiziert man Bechazc meines Erachtens zu sehr mit seinem Chopin-Spiel. Aber ich habe die Hoffnung, dass er sich nicht darauf wird festlegen lassen, sondern sein Repertoire durchaus noch ausbauen kann. Dann dürfte ihm tatsächlich eine große Karriere bevorstehen; immerhin ist er erst 1985 geboren, also gerade mal 25 Jahre alt (in dem Alter hatte Lang-Lang seine Karriere schon fast wieder hinter sich; aber der ist ja auch drei Jahre älter).

              Vielen Dank für deine Besprechung !

              Viele Grüße, Bernd

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                #22
                Hallo Bernd,

                Blechacz wird glaube ich bestimmt den Fehler nicht machen, sich als Chopin-Spieler festlegen zu lassen. Den haben M. Pollini und K. Zimerman als ehemalige Chopin-Preisträger mit 18 Jahren ja auch nicht gemacht - den Typ Chopin-Spieler gibt es heute sowieso nicht mehr! Im Interwiev sagte er, daß er eine Platte mit Werken von Karol Szymanowski aufnehmen will. Das geht genau in die richtige Richtung und wäre toll! An seiner Klangkultur wird er auch noch ein bischen arbeiten müssen, da kann er sich natürlich Rubinstein zum Vorbild nehmen mit seinem wunderbaren vollen und runden >Ton<! Das ist natürlich auch eine Frage der richtigen Finger- und Armtechnik.

                Besorge Dir mal die Platte! Ich werde demnächst die Preludes auch noch mit Vlado Perlemuter hören - ein alter Konzertmitschnitt von der BBC London. Ich habe ja nun schon drei Interpretationen in den letzten Wochen studiert - Pogorelich, Gulda und Blechacz - und liebe solche Interpretationsvergleiche.

                Beste Grüße
                Holger

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                  #23
                  Hallo Holger!
                  Hallo Bernd!

                  Also nachdem Ihr Blechacz Chopin Platten so nachhaltig empfehlt (Bernd ist ja von den Klavierkonzerten ganz begeistert und spricht ja sowohl hier als auch im Tamino nachhaltig Empfehlung dafür aus), kommen dien beiden Platten auf die Wunschliste ganz oben! Besten Dank!

                  Gerhard

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