Dieser Thread ist gedacht zur Besprechung von Aufnahmen, die von jungen Künstlern stammen, die als Talente von den Plattenfirmen entdeckt und als neue Sterne am Interpretenhimmel gefeiert werden. Sind das wirklich Fixsterne, die da am Firmament des musikalischen Olymps erscheinen oder nicht doch schnell verglühende Sternschnuppen?
Ich hatte vor einiger Zeit an anderer Stelle über die Geigerin Lisa Batiashvili berichtet, die mich wirklich sehr beeindruckt hat - für mich eines der vielversprechendsten Talente seit Jahren! Sie hat dieses Jahr den Echo-Klassik für Nachwuchskünstler erhalten (in diesem Punkt stimme ich der Jury vorbehaltlos zu, vgl. dazu ansonsten meine kritischen Bemerkungen im Thread zur Echo Klassik Gala) zusammen mit dem Pianisten Nikolai Tokarev.
Aus aktuellem Anlaß beginne ich die Besprechung mit Tokarevs gerade erschienener Platte >French Music<. Sie hält eine Gavotte von Rameau, von den Debussy die 1. Arabeske sowie >Clair de lune< aus der Suite bergamasque, von Ravel die Pavane und Gaspard de la nuit sowie von Cesar Franck Präludium, Fuge und Variationen op. 18.
Tokarev hat es offenbar geschafft, zumindestens ins Fernsehen! In den Heute-Nachrichten wurde er als aufgehender Stern gefeiert. Noch weiter ging da das Kulturmagazin Aspekte (oder war es >ttt< - ich weiß es nicht mehr genau!). Er verkörpere die ideale Synthese zwischen russischer und westlicher Schule, Expressivität und Rationalität. Das Turnschuhimage, das ihm die Plattenfirma andichten wolle, treffe nicht, er sei ein überaus seriöser Arbeiter (also kein zweiter Pogorelich!) - dem würde ich zustimmen! Dann verstiegen sie sich zu der Prognose: Er werde die musikalische Welt nachhaltiger prägen als ein Lang Lang! Ich muß sagen, dass bei den Ausschnitten, die ich gehört habe, bei mir der Funke nicht übersprang – ganz anders als im Film über Lisa Batiashvili. Also habe ich mir diese neue Platte besorgt, um zu einer fundierten Meinung zu kommen .
Um es vorweg zu nehmen: Gemessen an dem Medienzirkus, der um ihn gemacht wird und den hohen Erwartungen, die da geweckt werden, halte ich den Trubel, der über ihn gemacht wird, für maßlos überzogen! :P
Den Rameau spielt er klar und schnörkellos, das kann man sich gut anhören. Doch schon bei Debussy werden jedoch seine Grenzen deutlich sichtbar. Ein Kritiker schrieb einmal etwas boshaft über Jewgeni Kissin, das sei ein Pianist mit einem >Allerweltston<. Das finde ich Kissin gegenüber ungerecht - auch wenn er den Flügel natürlich nicht so zum Singen bringen kann wie ein Emil Gilels, ein ABM oder Vladimir Horowitz. Sinnlich-spätromantische Stücke wie z.B. die Paraphrase über Glinkas >Die Lerche< von Balakirev spielt Kissin einfach wunderbar farbig und emotional-spannend! Bei Tokarev geht mir nun genau diese Charakterisierung immer wieder durch den Kopf: der Starpianist mit >Allerweltston<. Frühen Debussy zu spielen, der noch erkennbar spätromantische Züge zeigt, verlangt einfach einen sinnlichen Klavierton. Und den hat Tokarev einfach nicht! Das wirkt alles ungemein spröde und anschlagsmäßig undifferenziert, gleichsam blutleer, >drahtig< gespielt. Von einem russischen Pianisten erwartet man eigentlich, dass er dieses gewisse Feuer mitbringt, eine gewisse Emphase. Nichts davon!
Ich habe dann gewissermaßen die Probe aufs Exempel gemacht. Von der >alten Garde< ihm am ähnlichsten ist vielleicht Alexis Weissenberg. Weissenbarg ist bekannt für sein sehr architektonisches Denken, einen eher rational-kühlen Intepretationsstil, der damals in den 70igern natürlich sehr >modern< war. Ich habe mir also Tokarevs Aufnahme von >Clair de lune< noch einmal angehört und dann Weissenbergs Aufnahme (DGG) dazu im Vergleich. Man muß es leider sagen: Der alte Weissenberg erwiest sich hier dem aufstrebenden Jungstar von heute als turmhoch überlegen! Weissenberg hat erst einmal einen zu Debussy passenden Ton und er kann >Stimmung< erzeugen, wie es dem Titel des Stücks entspricht: >Clair de lune< - auf deutsch: >Mondschein<. Dazu phrasiert er ungemein prägnant und auch sehr spannend die musikalischen Bewegungen: das ist einfach trefflich gestaltet. Bei Tokarev dagegen hat man das Gefühl, dass sich da einer herumtastet, etwas zeigen will, ohne es so richtig zu können. Ebenfalls ein Totalausfall bei Tokarev ist die Pavane von Ravel. Die Melodie am Anfang einfach auszusingen, wie etwa Altmeister Ashkenazy das so vorzüglich kann, gelingt ihm schon nicht. Zudem werden die dynamischen Kontraste mangels Differenzierungsvermögen eingeebnet. Er versucht sich an manchen Details, etwas zutage zu fördern, doch das Gesamtkonzept ist einfach nicht stimmig, keine emotionale Dramaturgie: Trauer, Entrückung. Auch hier macht sich der fehlende >Ton< bemerkbar: er spielt entweder überhaupt kein Pianissimo, oder kein singendes! Gaspard de la nuit ist durchaus solide bewältigt und gestaltet (siehe meinen speziellen Thread!), aber mehr auch nicht! Der Franck ist wiederum hörbar - aber auch hier kann man nur das wiederholen, was zu Debussy und Ravel zu sagen ist: es fehlt am sinnlichen Ton!
Fazit: Den Versuch, Tokarev mit Lang Lang zu vergleichen oder ihn gar über ihn zu stellen, halte ich für völlig verfehlt. Lang Lang hat zwar zweifellos noch viele Schwächen (z.B. bei Beethoven!), aber Chinesen haben die Tugend, ungemein lernfähig zu sein! Zudem hat er einige wirklich vorzügliche Aufnahmen gemacht, das 1. Chopin-Konzert z.B. und die Rachmaninow-Platte, die seine überragende Musikalität unter Beweis stellen. Meine persönliche Meinung ist: Was die >Belege< angeht - also die bisher greifbaren Aufnahmen auf CD und im Film - ist für mich Lang Lang das vielversprechendere Talent, Tokarev im Moment eher Sternschnuppe als Fixstern. Aber ich lasse mich gerne durch seine zukünftigen musikalischen Taten eines Besseren belehren!
Fortsetzung erwünscht!
Beste Grüße
Holger
Ich hatte vor einiger Zeit an anderer Stelle über die Geigerin Lisa Batiashvili berichtet, die mich wirklich sehr beeindruckt hat - für mich eines der vielversprechendsten Talente seit Jahren! Sie hat dieses Jahr den Echo-Klassik für Nachwuchskünstler erhalten (in diesem Punkt stimme ich der Jury vorbehaltlos zu, vgl. dazu ansonsten meine kritischen Bemerkungen im Thread zur Echo Klassik Gala) zusammen mit dem Pianisten Nikolai Tokarev.
Aus aktuellem Anlaß beginne ich die Besprechung mit Tokarevs gerade erschienener Platte >French Music<. Sie hält eine Gavotte von Rameau, von den Debussy die 1. Arabeske sowie >Clair de lune< aus der Suite bergamasque, von Ravel die Pavane und Gaspard de la nuit sowie von Cesar Franck Präludium, Fuge und Variationen op. 18.
Tokarev hat es offenbar geschafft, zumindestens ins Fernsehen! In den Heute-Nachrichten wurde er als aufgehender Stern gefeiert. Noch weiter ging da das Kulturmagazin Aspekte (oder war es >ttt< - ich weiß es nicht mehr genau!). Er verkörpere die ideale Synthese zwischen russischer und westlicher Schule, Expressivität und Rationalität. Das Turnschuhimage, das ihm die Plattenfirma andichten wolle, treffe nicht, er sei ein überaus seriöser Arbeiter (also kein zweiter Pogorelich!) - dem würde ich zustimmen! Dann verstiegen sie sich zu der Prognose: Er werde die musikalische Welt nachhaltiger prägen als ein Lang Lang! Ich muß sagen, dass bei den Ausschnitten, die ich gehört habe, bei mir der Funke nicht übersprang – ganz anders als im Film über Lisa Batiashvili. Also habe ich mir diese neue Platte besorgt, um zu einer fundierten Meinung zu kommen .
Um es vorweg zu nehmen: Gemessen an dem Medienzirkus, der um ihn gemacht wird und den hohen Erwartungen, die da geweckt werden, halte ich den Trubel, der über ihn gemacht wird, für maßlos überzogen! :P
Den Rameau spielt er klar und schnörkellos, das kann man sich gut anhören. Doch schon bei Debussy werden jedoch seine Grenzen deutlich sichtbar. Ein Kritiker schrieb einmal etwas boshaft über Jewgeni Kissin, das sei ein Pianist mit einem >Allerweltston<. Das finde ich Kissin gegenüber ungerecht - auch wenn er den Flügel natürlich nicht so zum Singen bringen kann wie ein Emil Gilels, ein ABM oder Vladimir Horowitz. Sinnlich-spätromantische Stücke wie z.B. die Paraphrase über Glinkas >Die Lerche< von Balakirev spielt Kissin einfach wunderbar farbig und emotional-spannend! Bei Tokarev geht mir nun genau diese Charakterisierung immer wieder durch den Kopf: der Starpianist mit >Allerweltston<. Frühen Debussy zu spielen, der noch erkennbar spätromantische Züge zeigt, verlangt einfach einen sinnlichen Klavierton. Und den hat Tokarev einfach nicht! Das wirkt alles ungemein spröde und anschlagsmäßig undifferenziert, gleichsam blutleer, >drahtig< gespielt. Von einem russischen Pianisten erwartet man eigentlich, dass er dieses gewisse Feuer mitbringt, eine gewisse Emphase. Nichts davon!
Ich habe dann gewissermaßen die Probe aufs Exempel gemacht. Von der >alten Garde< ihm am ähnlichsten ist vielleicht Alexis Weissenberg. Weissenbarg ist bekannt für sein sehr architektonisches Denken, einen eher rational-kühlen Intepretationsstil, der damals in den 70igern natürlich sehr >modern< war. Ich habe mir also Tokarevs Aufnahme von >Clair de lune< noch einmal angehört und dann Weissenbergs Aufnahme (DGG) dazu im Vergleich. Man muß es leider sagen: Der alte Weissenberg erwiest sich hier dem aufstrebenden Jungstar von heute als turmhoch überlegen! Weissenberg hat erst einmal einen zu Debussy passenden Ton und er kann >Stimmung< erzeugen, wie es dem Titel des Stücks entspricht: >Clair de lune< - auf deutsch: >Mondschein<. Dazu phrasiert er ungemein prägnant und auch sehr spannend die musikalischen Bewegungen: das ist einfach trefflich gestaltet. Bei Tokarev dagegen hat man das Gefühl, dass sich da einer herumtastet, etwas zeigen will, ohne es so richtig zu können. Ebenfalls ein Totalausfall bei Tokarev ist die Pavane von Ravel. Die Melodie am Anfang einfach auszusingen, wie etwa Altmeister Ashkenazy das so vorzüglich kann, gelingt ihm schon nicht. Zudem werden die dynamischen Kontraste mangels Differenzierungsvermögen eingeebnet. Er versucht sich an manchen Details, etwas zutage zu fördern, doch das Gesamtkonzept ist einfach nicht stimmig, keine emotionale Dramaturgie: Trauer, Entrückung. Auch hier macht sich der fehlende >Ton< bemerkbar: er spielt entweder überhaupt kein Pianissimo, oder kein singendes! Gaspard de la nuit ist durchaus solide bewältigt und gestaltet (siehe meinen speziellen Thread!), aber mehr auch nicht! Der Franck ist wiederum hörbar - aber auch hier kann man nur das wiederholen, was zu Debussy und Ravel zu sagen ist: es fehlt am sinnlichen Ton!
Fazit: Den Versuch, Tokarev mit Lang Lang zu vergleichen oder ihn gar über ihn zu stellen, halte ich für völlig verfehlt. Lang Lang hat zwar zweifellos noch viele Schwächen (z.B. bei Beethoven!), aber Chinesen haben die Tugend, ungemein lernfähig zu sein! Zudem hat er einige wirklich vorzügliche Aufnahmen gemacht, das 1. Chopin-Konzert z.B. und die Rachmaninow-Platte, die seine überragende Musikalität unter Beweis stellen. Meine persönliche Meinung ist: Was die >Belege< angeht - also die bisher greifbaren Aufnahmen auf CD und im Film - ist für mich Lang Lang das vielversprechendere Talent, Tokarev im Moment eher Sternschnuppe als Fixstern. Aber ich lasse mich gerne durch seine zukünftigen musikalischen Taten eines Besseren belehren!
Fortsetzung erwünscht!
Beste Grüße
Holger
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