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Gouldberg-Variationen: Meisterwerk oder Kuriosität ?

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    #31
    Hallo Holger,

    Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
    wenn ich mich jetzt nicht gewaltig täusche, stammt dieser Anspruch, ein Werk besser zu verstehen als sein Autor, nicht von Gadamer, sondern von Friedrich Schleiermacher - den die meisten als Platon-Übersetzer kennen, ein bedeutender Philosoph und Theologe, dem wir mit unser modernes Hochschulwesen verdanken. Dahinter steht natürlich die Auffassung, daß das Werk ein autonomes Gebilde verkörpert, daß eben auch nicht (wie bei Dilthey) durch die Biographie des Autors erklärt wird. Man muß eben nicht den Autor verstehen, um das Werk zu verstehen. Das Werk versteht sich von selbst - in derLiteraturwissenschaft nennt man diese Richtung "werkimmanente Interpretation". Dein Einweand beruht also auf einem Mißverständnis. Gadamer hat die "Anwendung" (die subtilitas applicandi) aufgewertet, wodurh sich das Problem der Historisierung des Vertehens ergibt. Das ist aber gerade eine der Werkimmanenz gegenläufige philosophische Tendenz, welche nicht die Autonomie, sondern die Abhängigkeit betont.
    Ich glaub schon, dass ich dich richtig verstanden habe. Man muss bei der Hermeneutik immer auch den Hintergrund berücksichtigen. Schleiermacher und andere dem Protestantismus nahestehende Philosophen propagierten diese "werkimmanente" Interpretation als Gegenstück zur katholischen Bibelauslegung, bei der immer auch die Ansichten der "Kirchenväter" eine gewichtige Rolle spielten. Demgegenüber wollten die Hermeneutiker ausschließlich auf den reinen Bibeltext zurückgreifen, gerieten dadurch jedoch in die Falle, dass sie die Interpretation ihrem eigenen "Vorverständnis" auslieferten. Ich meine, gerade letzter Punkt stünde im Werk Gadamers an zentraler Stelle (ich muss aber die Einschränkung machen, dass es schon Jahrzehnte her ist, dass ich sein Buch gelesen habe.

    So ist es auch mit der Interpretation von Kompositionen: unter Berufung auf die angebliche Werkimmanenz kann man sein eigenes Verständnis trefflich umsetzen. Dazu kommt, dass werkimmanente Interpretation letztlich - wenn überhaupt - nur beschränkt funktioniert, weil sie früher oder später ausdrücklich oder implizit auf ausser dem Werk stehende Kriterien und Begriffe zurückgreifen muss. Alleine die Klärung solcher Begriffe wie "Syntax" oder "Bedeutung" gelingen nicht ausschließlich werkimmanent. Jede Verwendung dieser Begriffe impiziert daher eine vorverständliche Begrifflichkeit.

    Ich möchte meine Auffassung zu Goulds Einspielung der Goldbergvariationen noch einmal zusammenfassen: er spielt nicht die Kompositionen Bachs, sondern nimmt sich die künstlerische Freiheit, sie eigenständig zu interpretieren. Das Ergebnis kann man mögen, ich tue es nicht. Für das Verständnis des Werkes sind seine Einspielungen daher völlig bedeutungslos. Was man hört, ist nicht die Bachsche Komposition, sondern ein eigenes Werk Goulds.


    VG, Bernd

    P.S.: Das Wetter ist herrlich ! Endlich Frühling !

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      #32
      Zitat von zatopek Beitrag anzeigen
      er spielt nicht die Kompositionen Bachs, sondern nimmt sich die künstlerische Freiheit, sie eigenständig zu interpretieren. Das Ergebnis kann man mögen, ich tue es nicht. Für das Verständnis des Werkes sind seine Einspielungen daher völlig bedeutungslos. Was man hört, ist nicht die Bachsche Komposition, sondern ein eigenes Werk Goulds.
      Ich habe die Noten der Goldberg-Variationen hier, weil ich die selber gerne spiele. Benenne mir mal bitte die Stellen, wo Gould etwas am Werk geändert hat.

      Gruß,
      Markus

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        #33
        Hallo,

        Ist es im Falle notierter Musik, die von anderen Künstlern als dem Komponisten selber aufgeführt wird, so, dass das Ergebnis eine Mischung aus dem Werk und der Interpretation des/der Aufführenden ist?

        Wer weiß denn schon, wie eine werktreue Aufführung aussieht, wenn der Komponist keine Möglichkeit hatte, seine klanglichen Vorstellungen auf einen Tonträger zu bannen?

        Eine der frühesten Möglichkeiten, so etwas hinzubekommen waren zB Werke von Mahler, die von Bruno Walter aufgenommen worden sind (der ja einen engen Kontakt zu Mahler hatte) oder die Aufnahmen der Klavier-Rollen, auf denen Mahler selber seine Werke spielte.

        Heutzutage ist das klarer Wiese kein Thema mehr.

        Ich persönlich denke nicht, dass die Komponisten früherer Zeiten so fix nur eine mögliche Interpretation zugelassen hätten.
        Bei Bach und anderen Komponisten aus dem Barock sprechen eben die teilweise nicht genau oder gar nicht notierten Teile eben für eine solche offene Auslegung.

        Auch viele Musiker unserer Zeit inzterpretieren ihre eigenen Werke unterachiedlich.

        Wieso sollen dann die alten Meister so autistisch gewesen sein?

        LG

        Babak
        Grüße
        :S

        Babak

        ------------------------------
        "Alles was wir hören ist eine Meinung, nicht ein Faktum.

        Alles was wir sehen ist eine Perspektive, nicht die Wahrheit!"


        Marcus Aurelius

        Kommentar


          #34
          Hallo

          Zitat von Markus Berzborn Beitrag anzeigen
          Ich habe die Noten der Goldberg-Variationen hier, weil ich die selber gerne spiele. Benenne mir mal bitte die Stellen, wo Gould etwas am Werk geändert hat.
          Da lese ich als interessierter Laie gerne mit ...

          LG

          Babak
          Grüße
          :S

          Babak

          ------------------------------
          "Alles was wir hören ist eine Meinung, nicht ein Faktum.

          Alles was wir sehen ist eine Perspektive, nicht die Wahrheit!"


          Marcus Aurelius

          Kommentar


            #35
            Eine Zwischenfrage:

            Welche intellektuelle Leistung muß ich eigentlich erbringen, um sagen zu können, ich hätte ein musikalisches Werk "verstanden"? Z.B. bei einer Bach-Fuge: Genügt es, wenn ich den Verlauf der einzelnen Stimmen und die motivischen Entwicklungen verfolgen kann? Muß ich alle horizontalen oder vertikalen Vorkommnisse des B-A-C-H-Motives finden? Etwaige numerologische Rätsel lösen, die Bach ja angeblich in seinen Kompositionen versteckt hat? Was noch?

            Und wenn ich das alles beisammen habe: Inwiefern bin ich dann klüger als vorher? Ist es nicht so ähnlich wie beim Sudoku: Wenn ich einmal ein wirklich schwieriges geschafft habe (und zwar nicht durch Raten), dann bringen alle weiteren kaum noch Erkenntnisgewinn, sondern höchstens Unterhaltung.

            Kommentar


              #36
              Tag Holger --
              Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
              Erst einmal würde ich da sagen: Man kann das Tempo nicht isoliert beurteilen. Gould hätte nicht einfach einige Tempi der 81iger Aufnahme in die 55iger transportieren können.
              Warum nicht? In der 81er Aufnahme hat er es ja schließlich "so" gemacht -- geht doch!

              Okay, er hatte damals ein bestimmtes, anderes Konzept. Das war dann wohl, alle Variationen in einem "einheitlichen", in dem Fall raschen Tempo vorzutragen. Ich habe in diese Aufnahme nochmal reingehört und finde, man kann ihm sicher NICHT den Vorwurf machen, dass er die Stücke lieblos herunterrattert.

              Soweit das meist SEHR schnelle Tempo es überhaupt zulässt, gelingt ihm noch eine deutliche Gestaltung und Nuancierung.

              Man kann nun natürlich beim Interpretationsvergleich sagen: Ja, aber diese Tempi rauben der Musik Bachs einige Dimensionen. Mag sein. Gould hat es in späteren Jahren auch so ähnlich gesehen, er begründet die langsamen Tempi in der späteren Aufnahme im Interview.
              Sehr gut formuliert, das ist genau meine Kritik an solch einseitigem Hang zu einem Tempo-Extrem. Ein durchgängig langsames Tempo für ALLE Variationen würde mich genauso stören. Ich denke, vielen Stücken ist doch ein gewissermaßen "natürlicher" Tempo-Bereich eigen. Manches kommt einfach in einem (möglichst) hohem Tempo so richtig zur Blüte -- warum soll Musik die Zuhörer nicht auch als effektvolles Klang-Feuerwerk faszinieren? Anderes SCHREIT aber regelrecht nach "Versenkung" ins Detail ... Allerdings, da gebe ich Markus Berzborn recht, "funktionieren" tut (bei Bach) vielfach sogar beides.

              Um jedoch ermüdende Einseitigkeit zu vermeiden, würde ich bei einem Werk wie den Goldberg-Variationen IMMER für Abwechslung plädieren, mit der Schwerpunktsetzung auf ein "mittleres" Tempo.

              Trotzdem kann man finde ich diese frühe Aufnahme nicht einfach als "Virtuosenmanier" (ab-)qualifizieren. Natürlich, in der Jugend neigen so ziemlich alle Interpreten zu zügigeren Tempi. Im Alter wird man eben ruhiger - so ist das Leben!
              Ich stimme zu -- Gould hatte es sicher weder nötig noch entsprach es seinem Naturell, allein(!) mit Virtuosität aufzutrumpfen. Gut möglich, dass ihm so schnelle Tempi in jungen Jahren einfach zusagten. Und das Publikum damals wie heute ist ja auch empfänglich dafür ...

              (Er soll irgendwann auch mal gesagt haben, gewisse Stücke Bachs fände er relativ substanzlos bzw. zweitklassig, die habe er dann eben möglichst schnell hinter sich bringen wollen ... Für die Goldbergs wird das aber sicher nicht gegolten haben.)

              Aber diese Tempi erschließen etwas - eine neue Dimension Bachscher Musik, die man vorher nicht kannte.
              Richtig, die Radikalität von Goulds Interpretation 1955 MUSS man sicher auch im zeitlichen Kontext sehen. Zu der Zeit galt Bach wohl als "verzopft" und fürs "moderne" Klassik-Publikum uninteressant, langweilig. Goulds Einspielung zeigte nun, wie ganz anders, wie frisch der überkommene Notentext auch aufgefasst werden kann.

              Was Bach gemeint hätte - das ist sehr spekulativ. Wenn heute jemand Bachs Musik so aufführen würde wie im 18. Jahrhundert, dann würden wir das nicht mehr ertragen können!
              Wieso? Genau das, eine Aufführung wie zur Barockzeit (oder dem jeweiligen Enstehungszeitalter) ist doch die Zielsetzung der "Historischen Aufführungspraxis". Diese beansprucht für sich -- sicher nicht ohne beachtenswertes Quellenfundament --, zumindest die Grundzüge der historisch "korrekten" Spielweise zu kennen und ist inzwischen zur "Norm" der Aufführung "Alter Musik" geworden. Das Publikum LIEBT ES! (Zum größten Teil -- Was allerdings einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gedauert hat ...)

              Man kann sich natürlich fragen, inwieweit sich Interpreten der heutigen Zeit an solche Erkenntnisse halten müssen. Darf man etwa überhaupt kein Klavier verwenden, weil's das vor ~300 Jahren noch nicht gab? Und wenn man es verwendet, muss man sich dann zumindest auf eine Terrassendynamik beschränken, wie sie auch schon mit Cembalos umgesetzt werden konnte?

              Ich halte es da subjektivistisch: Erlaubt ist, was MIR gefällt. ;)


              Grüße

              Bernd

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                #37
                Zitat von zatopek Beitrag anzeigen
                emgegenüber wollten die Hermeneutiker ausschließlich auf den reinen Bibeltext zurückgreifen, gerieten dadurch jedoch in die Falle, dass sie die Interpretation ihrem eigenen "Vorverständnis" auslieferten.

                So ist es auch mit der Interpretation von Kompositionen: unter Berufung auf die angebliche Werkimmanenz kann man sein eigenes Verständnis trefflich umsetzen.

                Alleine die Klärung solcher Begriffe wie "Syntax" oder "Bedeutung" gelingen nicht ausschließlich werkimmanent. Jede Verwendung dieser Begriffe impiziert daher eine vorverständliche Begrifflichkeit.

                Ich möchte meine Auffassung zu Goulds Einspielung der Goldbergvariationen noch einmal zusammenfassen: er spielt nicht die Kompositionen Bachs, sondern nimmt sich die künstlerische Freiheit, sie eigenständig zu interpretieren.

                P.S.: Das Wetter ist herrlich ! Endlich Frühling !
                Hallo Bernd,

                das Letzte ist ein Selbsttor: Gould spielt nicht die Komposition Bachs - das setzt voraus, daß man den Unterschied zwischen dem, was dem Werk angemessen und unangemessen ist, unterscheiden kann, was Du oben bestritten hast! Da braucht man entweder die Idee der Werkimmanenz oder muß die Person Johann Sebastian Bach so genau kennen, daß man weiß, was er eigentlich mit dem Werk ganz genau ausdrücken wollte.

                Der Hermeneutiker weiß natürlich, daß man immer das eigene Vorverständnis einbringen muß! Das wird eigens problematisiert durch den berühmten >hermeneutischen Zirkel<, den man nicht vermeiden kann. Es geht nicht darum, aus ihm herauszukommen, sondern richtig in ihn hereinzukommen, wie Heidegger gesagt hat. Bei Schleiermacher gibt es eine Konzeption des Nacherlebens, sich in einen Anderen oder in eine andere hineinversetzen kann. Eine Einfühlungstheorie. Gadamer hält das für unmöglich, daß so etwas wie ein >objektives< Verstehen einer vergangenen Epoche möglich ist! Die Hermeneutik hat da ganz unterschiedliche Konzepte entwickelt.

                Die Werkimmanenz muß man im übrigen nicht durch eine Hermeneutik begründen. Beispiel: Roman Ingarden. Das Kunstwerk ist ein >intentionaler Gegenstand<. Dazu gehört, daß man z.B. zwischen dem Werk und seiner Aufführungspraxis trennen kann. Auch Ingarden weiß natürlich, daß es nicht nur diese Werkimmanenz des >Aufbaus< gibt. Als fiktionales Gebilde enthält das Kunstwerk >Unbestimmtheitsstellen<, die ausgefüllt werden durch produktive Aktivität (die Fantasie) des Rezipienten, die >Konkretisationen< des Werkes. Aber ein solcher >Kern< der Werkidee ist immer rekonstruierbar.

                Die Klärung von Begriffen wie Bedeutung und Syntax ist natürlich nicht werkimmanent, sondern begrifflich. Da handelt es sich ja um Invarianten, die ganz verschiedene Werke gemeinsam haben und nicht die Charakterisierung eines ganz bestimmten individuellen Werks.

                Das Wetter ist herrlich - stimmt! Die Zeit zum Joggen sollte man nicht verpassen...

                Beste Grüße
                Holger

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                  #38
                  Zitat von kceenav Beitrag anzeigen
                  Warum nicht? In der 81er Aufnahme hat er es ja schließlich "so" gemacht -- geht doch!

                  Okay, er hatte damals ein bestimmtes, anderes Konzept. Das war dann wohl, alle Variationen in einem "einheitlichen", in dem Fall raschen Tempo vorzutragen. Ich habe in diese Aufnahme nochmal reingehört und finde, man kann ihm sicher NICHT den Vorwurf machen, dass er die Stücke lieblos herunterrattert.

                  Soweit das meist SEHR schnelle Tempo es überhaupt zulässt, gelingt ihm noch eine deutliche Gestaltung und Nuancierung.

                  Um jedoch ermüdende Einseitigkeit zu vermeiden, würde ich bei einem Werk wie den Goldberg-Variationen IMMER für Abwechslung plädieren, mit der Schwerpunktsetzung auf ein "mittleres" Tempo.

                  (Er soll irgendwann auch mal gesagt haben, gewisse Stücke Bachs fände er relativ substanzlos bzw. zweitklassig, die habe er dann eben möglichst schnell hinter sich bringen wollen ... Für die Goldbergs wird das aber sicher nicht gegolten haben.)

                  Wieso? Genau das, eine Aufführung wie zur Barockzeit (oder dem jeweiligen Enstehungszeitalter) ist doch die Zielsetzung der "Historischen Aufführungspraxis". Diese beansprucht für sich -- sicher nicht ohne beachtenswertes Quellenfundament --, zumindest die Grundzüge der historisch "korrekten" Spielweise zu kennen und ist inzwischen zur "Norm" der Aufführung "Alter Musik" geworden. Das Publikum LIEBT ES! (Zum größten Teil -- Was allerdings einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gedauert hat ...)
                  Hallo Bernd,

                  so denke ich auch: Der Gould rattert die Goldbergvariationen nicht runter! Im Vergleich mit Arrau fällt allerdings auf, daß Arrau die Aria überaus differenziert ausphrasiert (toll!), in der 55iger Aufnahme ist Gould da doch ein bischen vage - um nicht zu sagen: verwaschen. In der 81iger spielt er die viel konturierter - das gefällt mir deutlich besser.

                  Mit meiner Bemerkung mit den Tempi meinte ich, daß man >richtig< und >falsch< nur mit Blick auf das Gesamtkonzept sagen kann. Was man in der einen Aufnahme als organisch empfindet, wäre in der anderen u.U. störend.

                  Gould mochte z.B. die Chromatische Fantasie nicht - für ihn war musikalische Substanz mit dem Fugenwesen identisch. Eine sehr extreme Auffassung! In dem Punkt war er ein echter Exzentriker!

                  Die historische Aufführungspraxis finde ich auch eine Bereicherung, aber nicht als Dogma. Der Historismus täuscht sich, wenn er meint, eine Vergangenheit einfach wiederholen zu können. Das bleibt immer ein von uns, unserer Epoche ausgehender Rekonstruktionsversuch, d.h. letztlich konstruktiv. Wir können versuchen, Einzelnes nachzumachen, auf alten Instrumenten spielen, den >Schwellton< imitieren, aber die Gesamtheit, wie es damals geklungen hat, bleibt uns doch verborgen!

                  Beste Grüße
                  Holger

                  Kommentar


                    #39
                    Hallo,
                    als Laie will ich ich mich gar nicht in eine wissenschaftliche Diskussion einmischen, möchte aber doch etwas anmerken: Wenn ich die Beiträge so lese dann wundert es mich nicht, dass sich das Interesse für klassische Musik doch auf einen eher kleinen Kreis der Bevölkerung beschränkt. Anscheinend muss man über eine profunde Vorbildung in Musikwissenschaft, Geschichte und Philosophie verfügen um sich für das adäquate Hören klassischer Musik zu qualifizieren. Ich könnte mir vorstellen, dass sowas manchem den Spass an klassischer Musik verderben kann. Ich für meinen Teil höre Musik mit dem Bauch. Entweder die Musik spricht mich emotional an oder nicht.

                    Viele Grüße,
                    Hubert

                    Kommentar


                      #40
                      ...muß man nicht. Das geringere Interesse dürfte andere Ursachen haben.

                      Ein Manko ist sicherlich, daß bei der Klassik nur Interptretationen möglich sind, deren Unterschiede m. E. hochgeredet werden. Da ist (abgesehen von überwiegend Neuem - natürlich nicht immer musiktheoretisch) die Bandbreite im Jazz und Rock größer, weil es weniger Korsetts gibt.

                      Ganz bauchmäßig finde ich Gould überhaupt nicht so aufregend, wie er selbstzerstörerisch aufgeregt gewesen sein soll. Da geht bei ner Vollimprovisation von Schlippenbach mehr ab an Emotionen (Musiktheorie auch hier beiseite gelassen).

                      Apropos "wissenschaftlich": Wenn es sich um kein Wortspiel handelt, dann stimmt schon die Überschrift nicht... ;)

                      Gruß

                      Micha
                      Zuletzt geändert von Micha L; 02.05.2009, 13:05.

                      Kommentar


                        #41
                        Zitat von Micha L Beitrag anzeigen
                        Das geringere Interesse dürfte andere Ursachen haben.
                        (...)
                        Da geht bei ner Vollimprovisation von Schlippenbach mehr ab an Emotionen
                        Wenn ich mich nicht sehr irre, ist es mit der Popularität von Schlippenbach'schen "Vollimprovisationen" aber auch nicht so weit her ...

                        Allerdings: Zweifellos gehen bei Freejazz auch beim Normal-Hörer "mehr" Emotionen ab -- mehr Irritation, Abscheu, Panik ... !? ;)


                        @ohrbert:

                        Lass Dich durch solche Diskussionen nicht irreführen. Hören und genießen kann man "Klassik" auch ganz ohne Hintergrundwissen. Wenn sie einem denn liegt. Bzw. wenn einem wenigstens ein bestimmter Teilbereich dessen, was landläufig unter "Klassik" zusammengefasst wird, ohne große Probleme "zugänglich" ist.

                        Den Zugang erleichtern kann spezifisches Wissen aber unter Umständen schon. Und es ermöglicht dem bereits Eingeführten vielleicht, diese meist sehr "kunstfertig" gearbeitete, komplexe Musik vollständiger zu verstehen -- was sich meist wiederum in einem gesteigerten Hörgenuss niederschlagen wird.

                        Die Diskussionen sind Ausdruck von Liebhaberei. Durchaus Vergleichbares wirst Du mit Sicherheit auch bei den Fans vieler Rock- und Popmusiker finden. Nur ist da natürlich die Betrachtungsweise eine deutlich andere, denn eine "Interpretation" wie bei Klassik gibt's nunmal bei der populären Musik normalerweise nicht.


                        Grüße

                        Bernd

                        Kommentar


                          #42
                          Hallo Bernd --
                          Zitat von zatopek Beitrag anzeigen
                          Ich möchte meine Auffassung zu Goulds Einspielung der Goldbergvariationen noch einmal zusammenfassen: er spielt nicht die Kompositionen Bachs, sondern nimmt sich die künstlerische Freiheit, sie eigenständig zu interpretieren.
                          Irgendwie ist diese Formulierung schräg, meinst Du nicht? Bachs Kompositionen "interpretieren" tun doch alle, auch die Künstler, die Du schätzt.

                          Was den Aspekt der "Eigenständigkeit" betrifft: Ich glaube, Du spielst selbst kein Instrument, oder? Das würde erklären, warum Du Dir von der NOTWENDIGKEIT, gerade bei J.S.Bach in den reinen Notentext in beträchtlichem Umfang HINEIN zu interpretieren, keine angemessene Vorstellung machst.

                          Ich stimme Dir jedoch insofern zu, als Gould sich sicherlich VIELE Freiheiten nimmt. Und nach heutigen Erkenntnissen im Bereich der Historischen Aufführungspraxis erscheint vieles von dem, was er macht, nicht "historisch korrekt". (Obwohl, das müsste man im Grunde auch erst noch im Einzelnen ausdiskutieren ... ;))

                          Zu den Gründen, warum seine Spielweise trotzdem als legitim angesehen werden kann, ist ja hier schon einiges gesagt worden.
                          Aus meiner persönlichen Sicht der Dinge gilt: Ja, auf manches gar zu willkürlich und "skurril" erscheinde Detail in Goulds Interpretationen könnte ich vermutlich gut verzichten (so wie auf die (mir) etwas zu häufigen extrem schnellen Tempi). Der Witz ist aber, dass ich darüber (meistens) problemlos hinweghören kann, und der "Rest" mir umso genialer erscheint.

                          Das Ergebnis kann man mögen, ich tue es nicht. Für das Verständnis des Werkes sind seine Einspielungen daher völlig bedeutungslos.
                          Sie sind bedeutungslos, weil Du sie nicht magst?

                          Was man hört, ist nicht die Bachsche Komposition, sondern ein eigenes Werk Goulds.
                          Das sehen zahllose Kenner und Liebhaber von Goulds Bach aber anders. Und dies ist, anders als bei Dir, nicht nur ein mehr oder weniger "willkürliches" Geschmacksurteil, sondern beruht auf der Feststellung, dass Gould das polyphone Geflecht der Bachschen Musik in einer Weise DEUTLICH und mühelos nachvollziehbar macht, mit enormer Sanglichkeit der Einzelstimmen, wie eben kein anderer Cembalist/Pianist sonst. (Nun gut, ich kenne natürlich nicht alle Einspielungen aller Pianisten ...)

                          Wenn jenes Hörbarmachen von Kontrapunkt und Polyphonie nicht dem besseren Verständnis von Bachs Werk dient, was dann?


                          Grüße

                          Bernd

                          Kommentar


                            #43
                            Zitat von kceenav Beitrag anzeigen
                            Wenn ich mich nicht sehr irre, ist es mit der Popularität von Schlippenbach'schen "Vollimprovisationen" aber auch nicht so weit her ...

                            Allerdings: Zweifellos gehen bei Freejazz auch beim Normal-Hörer "mehr" Emotionen ab -- mehr Irritation, Abscheu, Panik ... !? ;)


                            @ohrbert:

                            Lass Dich durch solche Diskussionen nicht irreführen. Hören und genießen kann man "Klassik" auch ganz ohne Hintergrundwissen. Wenn sie einem denn liegt. Bzw. wenn einem wenigstens ein bestimmter Teilbereich dessen, was landläufig unter "Klassik" zusammengefasst wird, ohne große Probleme "zugänglich" ist.

                            Den Zugang erleichtern kann spezifisches Wissen aber unter Umständen schon. Und es ermöglicht dem bereits Eingeführten vielleicht, diese meist sehr "kunstfertig" gearbeitete, komplexe Musik vollständiger zu verstehen -- was sich meist wiederum in einem gesteigerten Hörgenuss niederschlagen wird.

                            Die Diskussionen sind Ausdruck von Liebhaberei. Durchaus Vergleichbares wirst Du mit Sicherheit auch bei den Fans vieler Rock- und Popmusiker finden. Nur ist da natürlich die Betrachtungsweise eine deutlich andere, denn eine "Interpretation" wie bei Klassik gibt's nunmal bei der populären Musik normalerweise nicht.


                            Grüße

                            Bernd
                            Hallo Bernd,
                            ja, das ist mir schon klar, Hintergrundwissen schadet nie.

                            Ich habe auch bewußt ein wenig übertrieben weil einige Aussagen in den Postings für mich Laien sehr abgehoben klingen und mich immer an den Begriff "ernste Musik" erinnern. Ich liebe die Musik von Bach als solche und finde es auch nicht verwunderlich, daß es so viele verschiedene Interpretationen davon gibt. Ich habe sicher noch nicht so viele Interpretationen vergleichen können wie die Autoren in diesem Thread, aber bei dem was ich bisher so gehört habe konnte ich immer noch Bach im Hintergrund erkennen. Das Ergebnis ist immer etwas anders, aber, wie Micha oben gechrieben hat, habe ich nach meinen bisherigen Erfahrungen auch den Eindruck, daß die Unterschiede oft übertrieben dargestellt werden.

                            Viele Grüße,
                            Hubert

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                              #44
                              Zitat von ohrbert Beitrag anzeigen
                              Hallo,
                              als Laie will ich ich mich gar nicht in eine wissenschaftliche Diskussion einmischen, möchte aber doch etwas anmerken: Wenn ich die Beiträge so lese dann wundert es mich nicht, dass sich das Interesse für klassische Musik doch auf einen eher kleinen Kreis der Bevölkerung beschränkt. Anscheinend muss man über eine profunde Vorbildung in Musikwissenschaft, Geschichte und Philosophie verfügen um sich für das adäquate Hören klassischer Musik zu qualifizieren. Ich könnte mir vorstellen, dass sowas manchem den Spass an klassischer Musik verderben kann. Ich für meinen Teil höre Musik mit dem Bauch. Entweder die Musik spricht mich emotional an oder nicht.
                              Hallo Hubert,

                              ich habe schon klassische Musik gehört im zarten jugendlichen Alter. Und so verrückt es ist: Die Musik, die damals angesprochen hat, steht bei mir auch noch heute ganz oben. Nur mit der Zeit möchte man das, was man so gerne hat, besser verstehen. Und dann entdeckt man - mit dem nötigen Hintergrundwissen - die Stücke neu und andere Seiten. Kopf und Herz müssen zusammenkommen - so ist das nun mal bei Kunstmusik.

                              Der andere Aspekt ist natürlich, daß man bestimmte Kunst und Musik nur versteht mit einem Bildungshintergrund. Thomas Manns Werke kann man zwar auch irgendwie lesen, aber sie sind geschrieben für ein hochgebildetes Publikum. Man muß dieses Hintergrundwissen einholen, sonst entgeht einem der Reiz bestimmter Passagen, weil man die Anspielungen nicht versteht. Bei Musik ist das nicht anders. Franz Liszt z.B. ist die Verkörperung eines romantischen Künstlers. Die Romantik proklamiert die Einheit aller Künste, Literatur, bildende Kunst und Musik verschränken sich. So gibt es in "Annees de Pelerinage" Zitate von Senancour, von Byron im Notentext (!), Bezüge auf Michelangelo, Raffael, Petrarca. Ich selbst habe einiges daraus gespielt - das ist für mich eher Ansporn, mich damit zu beschäftigen.

                              Mich wundert immer ein bischen, daß man ausgerechnet bei der Musik verlangt, sie müsse immer gleich schnell und vollständlich verständlich sein - so wie eine Mahlzeit, die man gleich verspeisen will. Ein gutes Buch liest man auch nicht nur einmal, ebenso betrachtet man sich die Bilder von van Gogh oder Rembrandt immer wieder. Da sagt niemand, daß das den Spaß verdirbt, nur weil beim ersten Betrachten Rätsel offen bleiben! Wer z.B. van Gogh mag, der wird sich irgendwann einmal eine Biographie zur Hand nehmen und über ihn lesen. Genau das kann man bei Bach, Mozart, Schumann oder Debussy auch tun. Bildung macht durchaus Spaß, kann ich aus eigener Erfahrung nur sagen! Und wenn man ein Instrument spielt, kommt man zwangsläufig dazu, sich mit bestimmten Dingen näher zu beschäftigen. :H

                              Beste Grüße
                              Holger

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                                #45
                                Zitat von ohrbert Beitrag anzeigen
                                Das Ergebnis ist immer etwas anders, aber, wie Micha oben gechrieben hat, habe ich nach meinen bisherigen Erfahrungen auch den Eindruck, daß die Unterschiede oft übertrieben dargestellt werden.
                                Das finde ich gerade abenteuerlich spannend. Dasselbe Stück gespielt von verschiedenen Interpreten - man gaubt, das ist jeweils eine ganz andere Komposition! Das ist das Abenteuer Interpretation!

                                Beste Grüße
                                Holger

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