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Der Komponist Karlheinz Stockhausen: Ein ganz persönlicher Nachruf

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    Der Komponist Karlheinz Stockhausen: Ein ganz persönlicher Nachruf

    "Ihm wirkt die Musik nicht blos und absolut durch ihre eigenste Schönheit, sondern zugleich als tönendes Abbild der großen Bewegungen im Weltall. Durch tiefe und geheime Naturbeziehungen steigert sich die Bedeutung der Töne hoch über sie selbst hinaus und läßt uns in dem Werke menschlichen Talents immer zugleich das Unendliche fühlen. Da die Elemente der Musik: Schall, Ton Rhythmus, Stärke, Schwäche im ganzen Universum sich finden, so findet der Mensch wieder in der Musik das ganze Univsersum."

    Nichts besser könnte Stockhausens religiös-metaphysische Einstellung zur Musik besser ausdrücken als dieses berühmte Schlußwort aus Eduard Hanslicks Schrift >Vom Musikalisch Schönen< von 1854. Für Stockhausen hatte die Musik eine kosmische Dimension -- gerade auch die elektronische -- in ihr sollte sich der Mensch eins mit dem Univsersum fühlen. Dieser Anspruch wirkte auf viele esoterisch-verstiegen -- die Stockhausen-Rezeption schwankte ja oft zwischen den Extremen, in ihm nur den >Techniker< zu sehen oder aber einen esoterischen Spinner! Dabei hat Stockhausen sich nur in die lange metaphysische Tradition seit der Antike gestellt, welche die Musik und ihre harmonischen Proportionen als ein Abbild der Ordnung des Universums verstand.

    Das andere treibende Motiv war für Stockhausen der Bildungsanspruch. Musik war für ihn nicht dazu da, Bedürfnisse zu befriedigen, sich mit dem Gegebenen abzufinden, sondern sollte das Bewußtsein erweitern, dem menschlichen Geist bislang ungeahnte, neue Möglichkeiten eröffnen. Berufen hat er sich da u.a. auf den Maler und Erfinder der abstrakten Malerei, Wassily Kandinsky und sein Programm einer "Verfeinerung der Sinne", das auf den Humanismus des 18. Jahrhunderts (Herder) zurückgeht. Diese Erweiterung bedeutete etwa, daß nun das, was bis dahin als ein schlechterdings Außermusikalisches galt, das unmelodische Geräusch, in die Komposition einbezogen wurde. Stockhausen komponiert Übergänge von Klängen und Geräuschen -- wie etwa in >Laub und Regen<.

    Meine Begegnung mit Stockhausen entstand durch eine Buchveröffentlichung. Eines Tages erhielt ich ein Angebot, einen Aufsatz über Stockhausen zu schreiben in einem Sammelband mit dem Titel >Protomoderne<. Ich habe dort einen Aufsatz veröffentlicht mit dem Titel >Konstruktion und Verdichtung. Die Schöpfung aus dem Nichts bei Busoni, Schönberg und Stockhausen>. In dem selben Band gab es ein Interview mit Stockhausen. Nach der Veröffentlichung klingelte bei mir die Post und ich erhielt für mich völlig überraschend ein Paket von Stockhausen persönlich mit Buch und anderen Sachen. Daraufhin hat sich eine rege Korrespondenz zwischen uns entwickelt über solche die Musik betreffenden philosophischen Fragen -- meine z.T. sehr ausführlichen Texte hat er in seinem Kreis verschickt, die kennen mich seitdem alle! Er selbst schreibt seine Bemerkungen und Gedanken auf solche von ihm selbst entworfenen Postkarten!

    Bei Konzerten und seinen Sommerkursen in Kürten habe ich ihn dann persönlich kennengelernt. Stockhausen ist mir begegnet als ein stets warmherziger, immer freundlicher Mensch ohne jeden Anflug von Überheblichkeit -- er war im Umgang natürlich und schlicht mit dieser typisch rheinischen, offenen Art. Das war er eigentlich immer gegenüber jedem, bei dem er das Gefühl hatte, daß er ihn und die Musik wirklich ernst nimmt! Dazu war er ungemein großzügig. Er hat mir eine ganze Reihe von Partituren geschenkt aus eigenem Antrieb oder dann, wenn ich signiliert habe, daß ich sie für meine Arbeit brauche. Diese Partituren, die ja keine normale Notenschrift enthalten, sind extrem aufwendig produzierte Kunstwerke (die graphische Ausführung stammt von der Flötistin Kathinka Pasveer), die entsprechend auch immens teuer sind! Unvergessen ist für mich ist ein Konzertbesuch in Köln, wo seine >Gruppen< für Orchester aufgeführt wurden -- dort spielen drei Orchester gleichzeitig mit drei verschiedenen Dirigenten. Es wurden zwei identische Konzerte hintereinander gegeben, dazwischen übrigens das Klavierstrück IX vorgetragen. Stockhausen wollte unbedingt, daß meine Frau und ich beide Konzerte hören und hat uns höchst persönlich über das Künstlerzimmer an der Kontrolle vorbei in den Saal geschleust!

    Die elektronische Musik ist nicht nur ein technisches Experiment, sondern folgt einer metaphysischen Idee: der Schöpfung aus dem Nichts. Sie besagt, daß der Komponist sein Werk radikal neu erfindet, auf kein irgendwie vorgegebenes und vorgeordnetes Material zurückgreift. Es ist eine wahrlich >absolute< Tonerzeugung. Eindrucksvoll ist der ganz neuartige Eindruck von Raum und Bewegung, den sie vermittelt. Bei der Weltausstellung in Osaka gab es diesen berühmten kugelförmigen Saal, wo >Spiral< aufgeführt wurde. Der Mensch ist hier ganz von der Musik eingeschlossen: links, rechts, oben, unten. Man muß es wirklich einmal miterlebt haben, wie die Klänge sich auf einen zubewegen und wieder wegbewegen, um einen herumlaufen, sich treffen und wieder trennen usw. Das ist unbeschreiblich und wie bei Stockhausen üblich bis ins Kleinste auskomponiert -- er überläßt nichts dem Zufall. Hier ist er der Antipode von Cage!

    Bleibende Eindrücke hinterläßt auch das Verklingen ins Nichts, dasjenige, was Stockhausen auch >Dekomposition< nennt. Das Verklingen und Ausschwingen der Töne wird zum Erlebnis der Entfernung, eines Versinkens der Töne ins Nichts!

    Stockhausens Werk ist ungeheuer vielfältig und nicht über einen Kamm zu scheren. Da gibt es die sehr strengen seriellen Kompositionen, die >punktuelle Musik< aus seiner Frühzeit. In diese Epoche fallen auch die >Gruppen< für Orchester. In diesem Zusammenhängen eine Anekdote. Nach Darmstadt, wo sich die junge Komponistengeneration nach dem Krieg traf, kam auch der Philosoph Theodor W. Adorno, der Autor der >Philosophie der neuen Musik<, der bei Alban Berg Komposition studierte. Er kam mit diesem an Webern anknüpfenden Serialismus nicht zurecht und frage: Wo ist hier Vordersatz und Nachsatz? Er vermißte also die melodische Struktur. Darauf stand ein bis dahin unbekannter junger Student auf und antwortete: "Herr Professor, sie suchen nach dem Huhn im abstrakten Bild!" Das war Stockhausen!

    Die elektronische Musik hat vor allem durch ihre Erfahrung des Kontinuums auch seine Instrumentalmusik beeinflußt. Er hat wunderschöne Stücke für Flöte, Klarinette, Trompete, Basetthorn usw. geschrieben, die bei Instrumentalisten auch sehr beliebt sind. Sie gehören eigentlich aufgeführt, die szenische und pantomimische Darstellung ist in der Partur bis ins Kleinste genau vorgeschrieben! Die Mikrotonintervalle und ihre Skalen -- es sind Glissandos -- sind mit dem traditionellen Notensystem nicht mehr notierbar, weil sie keine festgelegten Tonhöhen mehr haben. Und sie sind zudem gebunden an den Raum, man kann sie nicht einfach transponieren wie üblicherweise jede Melodie! Dasselbe Stück -- etwa >Xi< -- sieht deshalb für Basetthorn ganz anders aus als für Flöte. Deshalb gab es vor einigen Jahren einen großen Skandal mit einem österreichischen Vokalensemble, das Stockhausens Komposition >Stimmung< eigenmächtig transponierte. Er hat ihnen daraufhin die Aufführung verboten -- Stockhausen persönlich hat mir damals alle Unterlagen dieser Auseinandersetzung zugeschickt!

    CDs von Stockhausen bezieht man am besten direkt vom Stockhausen-Verlag in Kürten: Adresse: Kettenberg 15, 51515 Kürten. Fax 0049-(0) 2268-1813, Internet: www.stockhausen.org. Die CDs sind wirklich unglaublich sorgfältig gemacht, vor allem das Beiheft mit sehr hilfreichen Erklärungen der einzelnen Stücke von Stockhausen selbst, die er immer wieder in seinen Büchern veröffentlicht hat. Empfehlen würde ich für Einsteiger die beiden Boxen mit der Flötistin Kathinka Pasveer und Suzanne Stephens (Flöte und Klarinette bzw. Basetthorn) sowie auch die Trompete mit seinem Sohn Markus Stockhausen, der ein bekannter Jazzmusiker ist. Darin sind enthalten u.a. der sehr schöne >Tierkreis<, >Laub und Regen<, >In Freundschaft<, Xi usw.

    Auch die elektronischen Kompositionen kann man über den Stockhausen-Verlag beziehen -- die räumliche Wiedergabe beschränkt sich da allerdings auf Stereo. Die >Gruppen< für Orchester habe ich in der Aufnahme mit Abbado -- die Stockhausen allerdings nicht besonders mochte, für ihn haben die viel zu wenig geprobt! (Noch schlimmer, geradezu skandalös schlecht, war für ihn übrigens Rattle!) Von den Pianisten schätzte er bsonders eine junge Holländerin, die auch in Kürten unterrichtet hat, deren Namen mir im Moment leider entfallen ist. Sie hat damals in Köln das höchst eindrucksvolle Klavierstück IX wirklich sehr gut gespielt -- jenes nach der Fibonacci- Reihe komponierte Stück, das mit einer Akkordrepitition beginnt, die allmählich im Nichts verklingt. Ich selbst habe die Aufnahme von Kontarsky (Sony) -- ohne die elektronischen späten Klavierstücke. Dazu besitze ich noch einen Radio-Mitschnitt von Maurizio-Pollini der Klavierstücke VI und IX von den Salzburger Festspielen! Die Klavierstücke IX und X sollte man zumindest kennen -- das ist wirklich großartige Klaviermusik! Im Klavierstück X wird die >Stille< wirklich fühlbar, ungemein beeindruckend!

    Ich hoffe und wünsche mir, Deutschland wird diesem wirklich großen und bedeutenden Komponisten den gebührlichen Respekt erweisen! Vielen, die ihn persönlich kennengelernt haben, wird es so gehen wie mir: Man ist unendlich dankbar für die vielen glücklichen Momente und musikalisch-metaphysischen Einsichten, die er uns beschert hat! Verabschieden wir uns also nicht nur traurig, sondern auch frohen Mutes von ihm, wie er es selbst nicht anders gewollt hätte!

    #2
    Am Samstag abend fahre ich zum Stockhausen-Gedenkkonzert nach Kürten.
    Kommt sonst noch jemand?

    Gruß,
    Markus

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      #3
      Hallo Markus,

      da kann ich leider nicht kommen, was ich wirklich sehr bedauere! Ich würde mich aber sehr freuen, wenn Du darüber berichten würdest!

      Gruß Holger

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        #4
        Mache ich selbstverständlich.

        Ich wollte auch eigentlich letzten Donnerstag zur Beerdigung fahren, habe es aber zeitlich nicht gepackt.

        Ist ja für mich ein normaler Arbeitstag und immerhin fahre ich bis nach Kürten ca. 1,5 Stunden.

        Der Komponist und Dichter Paul Dirmeikis (der ein sehr interessantes Buch über Stockhausen geschrieben hat) hat ein paar persönliche Eindrücke von der Beerdigungsfeier auf seiner Website eingestellt.
        Ein schöner Text mit aufschlussreichen Beobachtungen meines Erachtens, der aber teilweise auch sehr nachdenklich stimmt.



        Gruß,
        Markus

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          #5
          Ein wirklich sehr schön geschriebener Bericht! Aber beschämend und eigentlich unglaublich, wie ein Land und seine Repräsentanten von einem der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts noch nicht einmal das bischen Ehrbezeugung bei seiner Beerdigung aufbringt! Aber wie sagt man so schön (oder schlecht): Der Prophet gilt nichts im eigenen Land!

          Melancholischer gute Nacht Gruß
          Holger

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            #6
            Das gefällt mir auch - Holger Czukay, zusammen mit seinem Bandkollegen Irmin Schmidt in den 60ern Schüler von Stockhausen, mit einigen persönlichen Erinnerungen:

            the notice dropped into my mailbox hit me like a shock. stockhausen is dead. dead? impossible! this man seemed to compose forever. hardly to believe that this could end one day.
            these days lots of words will be made in order to praize his merrits etc. i will not additionally contribute those. but in case you are interested i have recalled some private memories...



            Gruß,
            Markus

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              #7
              Sehr witzig und lebendig geschrieben - man sieht an diesem Beispiel einmal mehr: Stockhausen war ein begnadeter Pädagoge und konnte so vielen eine Identität geben, die im >offiziellen< akademischen System einfach >Niemand< geblieben wären!

              Gruß Holger

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                #8
                Ich war gestern im Gedenkkonzert in Kürten, und das war mal wieder sehr beeindruckend. "Freude" für zwei Harfen sowieso, aber ich hätte nicht unbedingt erwartet, dass die "Engel-Prozessionen" auch als reine Bandwiedergabe so hervorragend funktionieren.

                Im Publikum so einige interessante Leute - Prof. Rudolf Frisius, Mesias Maiguashca, Volker Müller (langjähriger WDR-Studiomitarbeiter), Leopold von Knobelsdorff (!), mehrere Mitglieder des früheren Collegium Vocale Köln, und ich konnte ein paar anregende Gespräche führen.

                Nach Weihnachten schreibe ich mal was dazu.

                Gruß,
                Markus

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