Hallo Titian,
den Sachverhalt muß man doch etwas differenzieren! Recht hast Du mit den Wettbewerben: Da gibt es z.B. solche, die von jungen Interpreten ein Repertoire von 200 (!) Werken verlangen! Das ist nicht nur eine Überforderung, sondern fördert auch nicht die intensive geistige Auseinandersetzung mit einem Werk! Und so eine Bemerkung zum Tschaikowsky-Wettbewerb wie >Ein Glenn Gould würde hier in der ersten Runde durchfallen< ist schlicht ein Armutszeugnis!
Was natürlich so generell nicht stimmt, daß junge Pianisten früherer Generationen weniger Konkurrenzdruck hatten! Da ist z.B. die Autobiographie von Lazar Berman höchst aufschlußreich! Er beschreibt das sowjetische Fördersystem, was sehr stark selektierte. Nur der durfte überhaupt zu einem Wettbewerb reisen, der sehr harte landesweite Vor-Wettbewerbe bestritten hatte! So etwas gibt es heute nicht mehr! Fakt ist, daß die allermeisten, die sich heute durch schweißtreibende Arbeit Siege bei solchen Wettbewerben erkämpft haben, hinterher in der Versenkung verschwinden! Wer von den vielen, die z.B. den berühmten Chopin-Wettbewerb in Warschau oder auch den in Brüssel gewonnen haben, hat wirklich hinterher Karriere gemacht? Die kann man an einer Hand abzählen!
Was heute zweifellos anders ist, ist die Medienpräsenz mit ihren höchst zweifelhaften Vermarktungsstrategien. Pollini hat sich z.B. nach dem Gewinn des Chopin-Wettberwerbs erst einmal zurückgezogen und gelernt. (>Ich wollte ein besserer Pianist werden!<) Die wenigen Plattenaufnahmen, die er gemacht hat, sind bis heute maßstabsetzend. Dagegen haben sie vom noch viel zu jungen Kissin z.B. jedes Jahr eine CD rausgebracht mit dem >Erfolg<, daß die zumeist wenig ausgegorenen Interpretationen nach spätestens einem Jahr für 10 Euro verramscht werden! Der Schuß geht also nicht nur musikalisch, sondern auch marktstrategisch voll nach hinten los!
Was die Perfektion angeht, kann man sagen: Vor dem Ende des 2. Weltkrieges spielte man im Studio so wie im Konzert (ich denke da an Artur Schnabel, Walter Gieseking oder Alfred Cortot), später klingen dann die Konzertmitschnitte so perfekt wie Studioaufnahmen! Der Umgang mit Musik hat sich durch die Erfahrung im Studio deutlich geändert! Schnabel z.B. war ein sehr guter Techniker, aber auf Perfektion legte er absolut keinen Wert! Was zählte, war Ausdruck! Auch Gieseking spielt in seinen Plattenaufnahmen oft schneller, als es eigentlich geht! Auf falsche Töne kam es ihnen nicht an!
Für die Perfektion des Spiels schlechthin steht Arturo Benedetti Michelangeli, auch Gilels, Richter, Rubinstein oder Horowitz haben da einen Perfektions-Standard gesetzt, an dem sich junge Musiker bis heute orientieren! Ich habe gerade in einer Zeitschrift etwas von einem jüngeren deutschen Pianisten gelesen, der auch Musikkritiken schreibt: Michael Korstick. Ihm haben sie eine Reihe von Klavieraufnahmen vorgespielt und die Namen verschwiegen. Er hat sie alle verrissen. Dann kam die Frage: Gäbe es auch positive Beispiele? Seine Antwort: Die Beethoven Sonate op. 7 von Benedetti Michelangeli (Aufnahme von 1971 (!). Er habe durch ihn erst diese Sonate lieben gelernt. Das sei eine schier unglaubliche Perfektion und ein Niveau, hinter das man einfach nicht mehr zurückfallen dürfe! (Das andere positive Beispiel von Korstick war Horowitz Interpretation von Beethovens Pathetique aus den 60igern, die er als vorbildlich textgenau und maßstabsetzend empfindet.)
Die Bemerkung von Dir, heute seien andere Interpretationen und Ausdrucksweisen verlangt, verstehe ich nun überhaupt nicht. Erst einmal sind Benedetti Michelangeli, Gilels, Svjatoslav Richter, Claudio Arrau oder Horowitz so lange noch nicht tot! Alfred Brendel lebt ja noch und auch die Generation Maurizio Pollini, Vladimir Ashkenazy und dann Krystian Zimerman , Muray Perahia usw. usw. ist immer noch präsent! Da müßte man dann erst einmal begründen können, warum die Maßstäbe, die sie mit ihren Interpretationen gesetzt haben, heute nicht mehr gelten sollen! Die Musiker - gerade die jungen - die man fragt, sehen das selbst völlig anders. Wen gibt der nach Fou Tsong zweite blutjunge chinesische Chopin-Preisträger, Yundi Li, als Vorbild an? Altmeister Artur Rubinstein!
Beste Grüße
Holger
den Sachverhalt muß man doch etwas differenzieren! Recht hast Du mit den Wettbewerben: Da gibt es z.B. solche, die von jungen Interpreten ein Repertoire von 200 (!) Werken verlangen! Das ist nicht nur eine Überforderung, sondern fördert auch nicht die intensive geistige Auseinandersetzung mit einem Werk! Und so eine Bemerkung zum Tschaikowsky-Wettbewerb wie >Ein Glenn Gould würde hier in der ersten Runde durchfallen< ist schlicht ein Armutszeugnis!
Was natürlich so generell nicht stimmt, daß junge Pianisten früherer Generationen weniger Konkurrenzdruck hatten! Da ist z.B. die Autobiographie von Lazar Berman höchst aufschlußreich! Er beschreibt das sowjetische Fördersystem, was sehr stark selektierte. Nur der durfte überhaupt zu einem Wettbewerb reisen, der sehr harte landesweite Vor-Wettbewerbe bestritten hatte! So etwas gibt es heute nicht mehr! Fakt ist, daß die allermeisten, die sich heute durch schweißtreibende Arbeit Siege bei solchen Wettbewerben erkämpft haben, hinterher in der Versenkung verschwinden! Wer von den vielen, die z.B. den berühmten Chopin-Wettbewerb in Warschau oder auch den in Brüssel gewonnen haben, hat wirklich hinterher Karriere gemacht? Die kann man an einer Hand abzählen!
Was heute zweifellos anders ist, ist die Medienpräsenz mit ihren höchst zweifelhaften Vermarktungsstrategien. Pollini hat sich z.B. nach dem Gewinn des Chopin-Wettberwerbs erst einmal zurückgezogen und gelernt. (>Ich wollte ein besserer Pianist werden!<) Die wenigen Plattenaufnahmen, die er gemacht hat, sind bis heute maßstabsetzend. Dagegen haben sie vom noch viel zu jungen Kissin z.B. jedes Jahr eine CD rausgebracht mit dem >Erfolg<, daß die zumeist wenig ausgegorenen Interpretationen nach spätestens einem Jahr für 10 Euro verramscht werden! Der Schuß geht also nicht nur musikalisch, sondern auch marktstrategisch voll nach hinten los!
Was die Perfektion angeht, kann man sagen: Vor dem Ende des 2. Weltkrieges spielte man im Studio so wie im Konzert (ich denke da an Artur Schnabel, Walter Gieseking oder Alfred Cortot), später klingen dann die Konzertmitschnitte so perfekt wie Studioaufnahmen! Der Umgang mit Musik hat sich durch die Erfahrung im Studio deutlich geändert! Schnabel z.B. war ein sehr guter Techniker, aber auf Perfektion legte er absolut keinen Wert! Was zählte, war Ausdruck! Auch Gieseking spielt in seinen Plattenaufnahmen oft schneller, als es eigentlich geht! Auf falsche Töne kam es ihnen nicht an!
Für die Perfektion des Spiels schlechthin steht Arturo Benedetti Michelangeli, auch Gilels, Richter, Rubinstein oder Horowitz haben da einen Perfektions-Standard gesetzt, an dem sich junge Musiker bis heute orientieren! Ich habe gerade in einer Zeitschrift etwas von einem jüngeren deutschen Pianisten gelesen, der auch Musikkritiken schreibt: Michael Korstick. Ihm haben sie eine Reihe von Klavieraufnahmen vorgespielt und die Namen verschwiegen. Er hat sie alle verrissen. Dann kam die Frage: Gäbe es auch positive Beispiele? Seine Antwort: Die Beethoven Sonate op. 7 von Benedetti Michelangeli (Aufnahme von 1971 (!). Er habe durch ihn erst diese Sonate lieben gelernt. Das sei eine schier unglaubliche Perfektion und ein Niveau, hinter das man einfach nicht mehr zurückfallen dürfe! (Das andere positive Beispiel von Korstick war Horowitz Interpretation von Beethovens Pathetique aus den 60igern, die er als vorbildlich textgenau und maßstabsetzend empfindet.)
Die Bemerkung von Dir, heute seien andere Interpretationen und Ausdrucksweisen verlangt, verstehe ich nun überhaupt nicht. Erst einmal sind Benedetti Michelangeli, Gilels, Svjatoslav Richter, Claudio Arrau oder Horowitz so lange noch nicht tot! Alfred Brendel lebt ja noch und auch die Generation Maurizio Pollini, Vladimir Ashkenazy und dann Krystian Zimerman , Muray Perahia usw. usw. ist immer noch präsent! Da müßte man dann erst einmal begründen können, warum die Maßstäbe, die sie mit ihren Interpretationen gesetzt haben, heute nicht mehr gelten sollen! Die Musiker - gerade die jungen - die man fragt, sehen das selbst völlig anders. Wen gibt der nach Fou Tsong zweite blutjunge chinesische Chopin-Preisträger, Yundi Li, als Vorbild an? Altmeister Artur Rubinstein!
Beste Grüße
Holger
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