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Lang Lang und Beethoven?

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    #16
    Hallo Titian,

    den Sachverhalt muß man doch etwas differenzieren! Recht hast Du mit den Wettbewerben: Da gibt es z.B. solche, die von jungen Interpreten ein Repertoire von 200 (!) Werken verlangen! Das ist nicht nur eine Überforderung, sondern fördert auch nicht die intensive geistige Auseinandersetzung mit einem Werk! Und so eine Bemerkung zum Tschaikowsky-Wettbewerb wie >Ein Glenn Gould würde hier in der ersten Runde durchfallen< ist schlicht ein Armutszeugnis!

    Was natürlich so generell nicht stimmt, daß junge Pianisten früherer Generationen weniger Konkurrenzdruck hatten! Da ist z.B. die Autobiographie von Lazar Berman höchst aufschlußreich! Er beschreibt das sowjetische Fördersystem, was sehr stark selektierte. Nur der durfte überhaupt zu einem Wettbewerb reisen, der sehr harte landesweite Vor-Wettbewerbe bestritten hatte! So etwas gibt es heute nicht mehr! Fakt ist, daß die allermeisten, die sich heute durch schweißtreibende Arbeit Siege bei solchen Wettbewerben erkämpft haben, hinterher in der Versenkung verschwinden! Wer von den vielen, die z.B. den berühmten Chopin-Wettbewerb in Warschau oder auch den in Brüssel gewonnen haben, hat wirklich hinterher Karriere gemacht? Die kann man an einer Hand abzählen!

    Was heute zweifellos anders ist, ist die Medienpräsenz mit ihren höchst zweifelhaften Vermarktungsstrategien. Pollini hat sich z.B. nach dem Gewinn des Chopin-Wettberwerbs erst einmal zurückgezogen und gelernt. (>Ich wollte ein besserer Pianist werden!<) Die wenigen Plattenaufnahmen, die er gemacht hat, sind bis heute maßstabsetzend. Dagegen haben sie vom noch viel zu jungen Kissin z.B. jedes Jahr eine CD rausgebracht mit dem >Erfolg<, daß die zumeist wenig ausgegorenen Interpretationen nach spätestens einem Jahr für 10 Euro verramscht werden! Der Schuß geht also nicht nur musikalisch, sondern auch marktstrategisch voll nach hinten los!

    Was die Perfektion angeht, kann man sagen: Vor dem Ende des 2. Weltkrieges spielte man im Studio so wie im Konzert (ich denke da an Artur Schnabel, Walter Gieseking oder Alfred Cortot), später klingen dann die Konzertmitschnitte so perfekt wie Studioaufnahmen! Der Umgang mit Musik hat sich durch die Erfahrung im Studio deutlich geändert! Schnabel z.B. war ein sehr guter Techniker, aber auf Perfektion legte er absolut keinen Wert! Was zählte, war Ausdruck! Auch Gieseking spielt in seinen Plattenaufnahmen oft schneller, als es eigentlich geht! Auf falsche Töne kam es ihnen nicht an!

    Für die Perfektion des Spiels schlechthin steht Arturo Benedetti Michelangeli, auch Gilels, Richter, Rubinstein oder Horowitz haben da einen Perfektions-Standard gesetzt, an dem sich junge Musiker bis heute orientieren! Ich habe gerade in einer Zeitschrift etwas von einem jüngeren deutschen Pianisten gelesen, der auch Musikkritiken schreibt: Michael Korstick. Ihm haben sie eine Reihe von Klavieraufnahmen vorgespielt und die Namen verschwiegen. Er hat sie alle verrissen. Dann kam die Frage: Gäbe es auch positive Beispiele? Seine Antwort: Die Beethoven Sonate op. 7 von Benedetti Michelangeli (Aufnahme von 1971 (!). Er habe durch ihn erst diese Sonate lieben gelernt. Das sei eine schier unglaubliche Perfektion und ein Niveau, hinter das man einfach nicht mehr zurückfallen dürfe! (Das andere positive Beispiel von Korstick war Horowitz Interpretation von Beethovens Pathetique aus den 60igern, die er als vorbildlich textgenau und maßstabsetzend empfindet.)

    Die Bemerkung von Dir, heute seien andere Interpretationen und Ausdrucksweisen verlangt, verstehe ich nun überhaupt nicht. Erst einmal sind Benedetti Michelangeli, Gilels, Svjatoslav Richter, Claudio Arrau oder Horowitz so lange noch nicht tot! Alfred Brendel lebt ja noch und auch die Generation Maurizio Pollini, Vladimir Ashkenazy und dann Krystian Zimerman , Muray Perahia usw. usw. ist immer noch präsent! Da müßte man dann erst einmal begründen können, warum die Maßstäbe, die sie mit ihren Interpretationen gesetzt haben, heute nicht mehr gelten sollen! Die Musiker - gerade die jungen - die man fragt, sehen das selbst völlig anders. Wen gibt der nach Fou Tsong zweite blutjunge chinesische Chopin-Preisträger, Yundi Li, als Vorbild an? Altmeister Artur Rubinstein!

    Beste Grüße
    Holger

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      #17
      Dr. Holger,
      du zwingst mich viel zu schreiben aber ich würde lieber Heifetz, Alicia de Larrochia,Wand (Bruckner-Aufnahmen 1974-81), Jochum/Staatskapelle (Bruckner), Giulini (Chicago recordings), Pinnock (alle Mozart-Symphonien), Ciccolini (Debussy), Rozhdestvensky (Nielsen), Gergiev (Prokofiev) hören.
      Am liebsten würde ich Dich anrufen aber ich denke, unsere Diskussion ein paar andere Leute interessieren würde.

      Du muss mich nicht falsch verstehen, die Interpreter, die du aufgelistet hast, sind auch meine Lieblings (Brendel einiges weniger) und ich finde kaum ein junge(r) Musiker von Heute, der dieses Niveau von Ausdruck erreichen kann.
      Die bemerkung über die heutigen Interpretationen kommt aus verschiedenen private Diskussionen mit Musik-Lehrer(innen), die Ausnahmetalente haben, und von verschiedenen Solisten (u.a. Dokumentarfilme) und Dirigenten. Auch die Art der Interpretation wie die Technik entwickelt sich mit der Zeit. In der Kammermusik zum Beispiel ist mehr die Einheit der Solisten gefragt und nicht ein Solo-Vorstellung der Prima Donna und die anderen versuchen auf einem anderen Niveau mitzuspielen (Grumiaux-Trio).

      Betreffend die "Perfektion" von die erwähnten Solisten, muss ich sagen, dass ich einige Live-Konzerte von denen erlebt habe.
      Da muss ich sagen, technische Fehler gab es, und nicht selten. Mit Michelangeli musste man froh sein, dass er nicht Teile vergass oder eine seine persönliche Variante einfügte. Sogar müsste man sogar froh sein, dass er überhaupt am Konzert erschien. Da muss ich aber sagen, dass ich lieber habe, wenn ein Solist nicht erscheint, wenn er keine Lust zu spielen hat.
      Bei Horowitz, Richter und Pollini waren Fehlgriffe auch vorhanden. Das technisches Niveau von Heute ist mindestens so hoch als damals. An für sich gibt es viel mehr Musiker, die eine höheres technisches Niveau haben als damals. Leider sie nützen es nicht aus. Bei der Violine ist die Entwicklung noch extremer.

      respektvolle Grüsse

      Titian

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        #18
        Hallo Titian,

        Alicia de Larrocha mag ich, ja liebe ich sehr, sie hat das Verdienst, diese Juwelen der spanischen Klaviermusik uns erschlossen zu haben!

        Der Interpretationsstil ändert sich natürlich, z.B. hat man in den 60igern und 70igern durch den Einfluß der seriellen Musik ein einheitliches Grundtempo propagiert. Das fordert z.B. Pierre Boulez in seinen Büchern. Von Michelangeli gibt es ein Intervieuw zu Beethoven op. 7, wo er mit Bezug auf andere Interpreten von der >Angst vor konstanten Tempi< im ersten Satz spricht! Was er meint: Man höre sich die op. 7 mit Wilhelm Kempff aus den 30igern an: Da wird praktisch jedes thematische Motiv in einem anderen Tempo gespielt. Es ist aber so, daß bei den großen Interpreten über Jahre auch ein Wandel des Interpretationstils festzustellen zu ist! Sie leben ja nicht außerhalb der Welt. Allerdings bestimmte Maßstäbe halten sich schon - hinter die kann man nicht mehr zurück!

        Was die Perfektion angeht: Die Perfektion von Benedetti Michelangeli oder auch Gilels ist eine Meßlatte, die wohl auch in Zukunft für die allermeisten auch sehr guten Pianisten unerreichbar bleiben wird! Es ist bekannt, daß Gilels in Konzerten z.T. große Gedächtnislücken hatte (es gibt Mitschnitte, die das belegen und zahlreiche komische Anekdoten!), aber das ist ja keine Frage von klaviertechnischer Perfektion, sondern der Konzentrationsfähigkeit und des Gedächtnisses. Von Benedetti Michelangeli (ABM) habe ich sämtliche verfügbaren Mitschnitte. Er konnte sich wirklich total von der Welt abschotten (>ich spiele nicht fürs Publikum, sondern für den lieben Gott und den Komponisten) und Konzerte spielen ohne einen einzigen falschen Ton. Ich habe ihn auf der Bühne erlebt: Er wirkte fast starr, abwesend, wie ein Gespenst aus dem Jenseits, nahm den Beifall des Publikums regungslos zur Kenntnis. Nur als ein paar süße Kinder ihm Blumensträuße überreichten, trotzte ihm das ein Lächeln ab (in Düsseldorf: Tonhalle).

        Kissin sagt über ihn: >Der macht ja nie Fehler im Konzert!< Er hat natürlich Fehler gemacht, z.B. in Helsinki (sehr seltsam) am Anfang von Reflets dans Leau (Debussy Images) - ein Stück, was er tausende Male gespielt hat. Von ihm stammt der Satz: >Man wäre ein großer Esel zu glauben, im Konzert könnte nichts Schreckliches passieren!< Für seine Konzertabsagen war er berüchtigt, habe selbst so etwas erlebt (eingesprungen ist dann Claudio Arrau). Aber dafür gibt es sehr komplexe Gründe! Mit seiner Gesundheit stand es nicht zum besten: Er spielte mit einem halben Lungenflügel und Herzschrittmacher. In Bourdeau Ende der 80ige bekanm er auf der Bühne einen Herzanfall und wurde von einem Arzt im Publikum gerettet. Wenn ihm der Veranstalter sympathisch war, ist er aber auch mit Fieber aufgetreten (z.B. in London). In den Notentext einzugreifen hat er sich eigentlich nie erlaubt, das kenne ich bei ihm nur bei einigen Zugabenstücken (Mompou und Liszt), aber nicht bei großen klassischen Werken!

        Sehr lustig ABMs DVD mit den Brahms-Balladen aus Lugano: Da gibt es zu Beginn der 3. Ballade einen falschen Ton! In der Wiederholung spielt er es dann richtig und während des ganzen Stücks liegt ein schelmisches Grinsen über seinen Lippen! Da fragt man sich: War das vielleicht nicht sogar Absicht? Er war ja ein Schelm, hat oft Programme mit falschen Opuszahlen angegeben hat um das Publikum zu testen nach dem Motto: Merken die das? (Darüber schreibt Joachim Kaiser!)

        Richter hat oft Konzerte gegeben, die er eigentlich wegen Indisposition hätte absagen müssen (darüber gibt sein Tagebuch Auskunft!) - deshalb gibt es bei ihm erhebliche Niveauschwankungen, was die Tagesform angeht! Wenn er aber in Topform war, war er absolut perfekt!

        Gruß Holger

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          #19
          Hallo Titian, es wäre sehr freundlich von Dir, wenn Du Auskunft darüber geben könntest, wann und wo und vor allem mit welchem Programm Du Benedetti Michelangeli gehört hast! Ich schicke Dir auch gerne meine Diskographie - wir können ja über private Mail uns austauschen! :F im voraus!

          Es ist natürlich so, daß wegen der professionalisierten Ausbildung heute das technsche Niveau allgemein - in der Breite - deutlich höher ist als früher! Die Beispiele, über die wir reden, sind natürlich die absoluten Ausnahmeerscheinungen, die völlig aus dem Rahmen fallen!

          Hier die folgende Anekdote über Emil Gilels, die Lazar Berman erzählt (Quelle: Lazar Berman: Schwarz und Weiß. Erinnerungen eines Pianisten zwischen Ost und West. Staccato Verlag. Düsseldorf 2003, Rubrik >Lustige Geschichten - Nachsätze<, S. 188):

          "Einmal habe ich mit ein paar Freunden ein Konzert von Emil Gilels besucht. Er spielte wunderbar Liszts Sonate in h-moll im Kleinen Saal des Konservatoriums in Moskau, doch plötzlich hatte er zwischen dem berühmten Fugato, das die Reprise der Sonate vorbereitet, einen Blackout. Er mußte weiterspielen, kam aber durcheinander (ich muss zugeben, dass das eine sehr knifflige Passage ist!), und erst beim dritten Anlauf gelang ihm die Fuge, und er konnte zum nächsten Teil übergehen. Er beendete das Konzert auf wunderbare Weise, so wie er es begonnen hatte. Nach Ende des Konzertes gingen wir zu ihm, um ihn zu beglückwünschen und ihm zu danken, doch Gilels wußte nur zu gut, dass wir alle seine Fehler bemerkt hatten. Also ergriff er die Initiative. Als er uns sah, sagte er nur: >Hat euch meine dreifache Fuge gefallen?>" :M

          Musikalische Grüße
          Holger

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            #20
            Hallo Holger,

            da ich in Lugano aufgewachsen bin, habe ich Michelangeli dort und ein Mal in Mailand erlebt. Genau wann das war kann ich nicht sagen, da es zwischen 1970 und 1982 war und ich schreibe nicht auf, alle Konzerte, die ich besuche auch wenn diese fester im Gedächtniss bleiben als andere.

            Zwei Konzerte waren in "il palazzo dei congressi": er spielte Ravel's Klavierkonzert und ein Klavierkonzert von von Mozart (Nr. 18?). Der zweite Teil des Programms von diesen Konzerte war purer Orchesterwerke.
            Nach Ravel's Klavierkonzert kam der 15. Sinfonie von Schostakowich mit dem Staatsorchester der Sowjetunion (Svetlanov?). Das war das erste Mal (Tournee), dass diese Sinfonie ausserhalb der Sowjetunion gespielt wurde.
            In Mailand hörte ich einen Rezital von Michelangeli aber vom Programm erinnere mich wenig (eine Sonata von Beethoven, Debussy?). Später in Lugano habe ich u.a. den Carnaval von Schumann gehört. :B

            Ja das war's; eigentlich hätte ich weiter Gelegenheiten ihm zu hören aber die Aktivitäten im Fussball gaben mir immer weniger Zeit. Ich wohnte nicht ein Mal 5 Km von ihm weg.
            Weiter hörte ich am liebsten Konzerte mit Orchestern und weniger Rezitale.

            Gruss

            titian

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              #21
              Hallo Titian,

              faszinierend! Von den Lugano-Konzerten von ABM gibt es eine Reihe von Mitschnitten, veröffentlicht vom Label Aura. Vielleicht waren es einige von denen, die Du gehört hast!

              Beste Grüße
              Holger

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                #22
                Ich will hier nicht im detail antworten, nur eine Bemerkung:

                ich habe LangLang jetzt in Salzburg gehört und war insgesamt enttäuscht. Bei der Interpretation einer mittleren Mozart-Sonate schien er förmlich zu scheitern. wusste absolut nichts, damit anzufangen. ich hatte das Gefühl, er spielt auf einem (seelenlosen) Yamahaflügel. Auch wirkte er auf mich alles andere als so virtuos und brilliant, wie er meist dargestellt wird.

                Vielleicht nur ein erster/falscher Eindruck, aber die Kritik sah es wohl ebenso.

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                  #23
                  Hallo Christian,

                  ich habe vor einiger Zeit Lang Lang auch mit Mozart gehört (im Fernsehen) und fand das doch ziemlich >grün<! Übrigens vor ein paar Tagen brachten sie auf Arte das Forellenquintett mit L. L.. Fand ich schrecklich. Ein völlig unromantischer Schubert. Seligkeit mißverstanden als derbe Lustigkeit, Schuberts Poesie als prosaisches Amüsement fürs Bierzelt! Und auch das Quartett ließ sich von dieser derben Spielart anstecken! Bedauerlich!

                  Den Yamaha CF III S habe ich auf der diesjährigen Frankfurter Messe gespielt. Neben dem Fazioli das eindeutig beste Instrument auf der ganzen Messe! Natürlich ist der Yamaha immer ein bischen >nüchtern<, vielleicht nicht absolut ideal für Mozart, aber an diesem im Prinzip universell einsetzbaren Flügel (mit einer sagenhaft guten Mechanik übrigens!) hat es bestimmt nicht gelegen, wenn Lang Lang nicht berauschend war! Richter hat ja überzeugend die Klassiker auf dem Yamaha ihm gespielt!

                  (Demnächst folgt von mir eine Besprechung von Interpretationen der Pathetique von Beethoven, Aufnahmen von Schnabel bis Brendel, also über 60 Jahre Interpretationsgeschichte!)

                  Beste Grüße
                  Holger

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