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Hommage à Debussy – zu seinem 150. Geburtstag

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    #16
    Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
    Debussy´s Musik verbinde ich immer mit der "blauen Stunde". Eine Musik, zwischen den Zeiten der Beschäftigung und der Ruhe. Manches finde ich schon hart an der Grenze zum Kitsch, vor allem bei kammermusikalischen und symphonischen Werken.
    Hallo Bernd,

    das würde mich jetzt aber mal interessieren: Wo findest Du Debussy kitschig? Hart an der Grenze zum Kitsch finde ich manches bei Ottorino Respighi, immer dann, wenn der Impressionismus droht ins Dekorative abzugleiten. Bei Debussy selbst - muß ich bekennen - hatte ich dieses Gefühl noch nie. Mit einer Ausnahme vielleicht: In dieser Rattle-Box



    gibt es einige Orchestrierungen der "Preludes", die finde ich in der Tat ziemlich kitschig. Die stammen aber auch nicht von Debussy selbst. Die Interpretationen von Rattle finde ich übrigens eher langweilig, kein Vergleich mit Boulez oder Abbado oder Celibidache. Gekauft habe ich die eigentlich nur wegen des Ravel-Konzertes für die linke Hand und Andrei Gawrilow am Klavier - sonst nirgendwo mehr zu bekommen.

    Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
    Sehr gerne höre ich die Klavierwerke eingespielt von Alain Planes


    amazon.de
    Die AAufnahme wollte ich auch schon länger studieren. Ist sie nicht gemacht auf einem Blüthner-Flügel? Zugelegt habe ich mir Pierre-Laurant Aimard mit den Preludes - dazu sage ich aber erst Mal nichts, bis ich das 2. Heft durchgehört habe...

    Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
    Für den Einstieg gut geeignet finde ich die DoCD aus der EMI Serie "20th Century Masterpieces"




    Da spielt vielleicht nicht unbedingt die allererste Garde; für den Erstkontakt mit dieser Musik reicht es imo aus und sie ist auch preislich attraktiv.
    Das sind doch alles namhafte Dirigenten - Michel Plasson ist ein sehr guter Interpret frz. Musik!

    Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
    BTW: Ich denke, Homer hat seine Bemerkung darüber, dass das Glück der Götter darin bestehe, sich aus dem Schicksal der Menschen heraushalten zu können, eher ironisch gemeint.
    Das verstehe ich nicht. Ironie bei Homer? Die Götter sind doch die Unsterblichen. Sie mischen sich zwar oft ein in das Weltgeschehen, aber ohne davon betroffen zu werden. So zu verstehen ist ja auch das Heraklit Fragment: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge, die einen macht er zu Götter, die anderen zu Menschen. Wenn ein Sterblicher nämlich die "Hybris" begeht, mit einem Gott zu kämpfen, wird er nämlich merken, was er als Mensch ist: nämlich sterblich ist und nicht unsterblich.

    Beste Grüße
    Holger

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      #17
      Zufällig habe ich auch diese wunderbare CD in meiner bescheidenen Klassikauswahl.
      Heute habe ich sie zum zweiten mal gehört - faszinierend .... und auch aufnahmetechnisch ein echtes Highlight - von mir ***** (von 5) !



      LG, dB
      don't
      panic

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        #18
        Hallo Holger

        Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
        das würde mich jetzt aber mal interessieren: Wo findest Du Debussy kitschig?
        Ich habe nicht gemeint, dass alles, was Debussy geschrieben hat, kitschig sei. Das kann ich auch gar nicht beurteilen, weil ich noch lange nicht alle Werke kenne.

        Aber wenn ich ein Stück wie die "Sirènes" höre, muss ich unweigerlich an einen Hollywood-Monumentalfilm, so wie von Cecile DeMille denken, bei dem ein tonloser Chor z.B. den Einzug der Königin von Saba untermalt. Anders ausgedrückt: so wie die Imprssionisten in ihren Werken in den Farben schwelgen, so schwelgt Debussy manchmal in Klängen und Klangfarben. Da treten Form und Struktur zurück; für einen Barock-Fan wie mich etwas gewöhnungsbedürftig.

        Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
        ..Das verstehe ich nicht. Ironie bei Homer? Die Götter sind doch die Unsterblichen. Sie mischen sich zwar oft ein in das Weltgeschehen, aber ohne davon betroffen zu werden. So zu verstehen ist ja auch das Heraklit Fragment: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge, die einen macht er zu Götter, die anderen zu Menschen. Wenn ein Sterblicher nämlich die "Hybris" begeht, mit einem Gott zu kämpfen, wird er nämlich merken, was er als Mensch ist: nämlich sterblich ist und nicht unsterblich.
        Nun, nach meinem Empfinden sind die Götter bei Homer nichts als übersteigerte Menschen. Sie werden von den gleichen Leidenschaften, Bedürfnissen und manchmal sogar Ängsten geplagt. Sie lügen und betrügen und mischen sich nicht nur in die Angelegenheiten der Sterblichen ein. Sie stehen keineswegs über den menschlichen Angelegenheiten, sondern nehmen an deren Schicksal teil und leiden genauso, wie diese selbst unter Ungerechtigkeiten und sogar Schmerzen; immerhin werden Aphrodite und sogar der Kriegsgott Ares selbst von Sterblichen verletzt.

        Deshalb kam ich darauf, dass diese Bemerkung Homers nur ironisch gemeint sein kann.

        Viele Grüße Bernd

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          #19
          Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
          Ich habe nicht gemeint, dass alles, was Debussy geschrieben hat, kitschig sei. Das kann ich auch gar nicht beurteilen, weil ich noch lange nicht alle Werke kenne.

          Aber wenn ich ein Stück wie die "Sirènes" höre, muss ich unweigerlich an einen Hollywood-Monumentalfilm, so wie von Cecile DeMille denken, bei dem ein tonloser Chor z.B. den Einzug der Königin von Saba untermalt. Anders ausgedrückt: so wie die Imprssionisten in ihren Werken in den Farben schwelgen, so schwelgt Debussy manchmal in Klängen und Klangfarben. Da treten Form und Struktur zurück; für einen Barock-Fan wie mich etwas gewöhnungsbedürftig.
          Hallo Bernd,

          das ist für mich eindeutig ein Problem von uns als Hörern! Debussy und der Impressionismus sind in der Tat von der Filmmusik reichlich "ausgebeutet" worden. Und der Hörer von heute ist mit diesen Hollywood-Produktionen weit mehr vertraut als mit Debussys Musik, lernt diese vorher kennen und projiziert dies dann, wenn er das "Original" hört, auf dieses zurück. Zur Zeit von Debussy war das anders - das war radikal neu. Den Chor "ohne Worte" einzusetzen als Klangfläche war eine Revolution - dazu gibt es einen ironischen Komentar von Debussy, er wolle keine "Gesangsvereine" und danke dafür bestens. Ravel macht das dann auch so in "Daphnis et Chloe" und Scriabin in "Prometheus". Daß Debussy den Klang auf Kosten der Struktur ausbeute, das hat eigentlich nicht zuletzt Pierre Boulez durch seine Schriften und Analysen widerlegt (und viele andere auch). Das sind keine konventionellen Formen mehr, aber er schafft dafür ganz neue sehr komplexe Strukturen, die dann für die "Neue Musik" maßgeblich wurden.

          Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
          Nun, nach meinem Empfinden sind die Götter bei Homer nichts als übersteigerte Menschen. Sie werden von den gleichen Leidenschaften, Bedürfnissen und manchmal sogar Ängsten geplagt. Sie lügen und betrügen und mischen sich nicht nur in die Angelegenheiten der Sterblichen ein. Sie stehen keineswegs über den menschlichen Angelegenheiten, sondern nehmen an deren Schicksal teil und leiden genauso, wie diese selbst unter Ungerechtigkeiten und sogar Schmerzen; immerhin werden Aphrodite und sogar der Kriegsgott Ares selbst von Sterblichen verletzt.

          Deshalb kam ich darauf, dass diese Bemerkung Homers nur ironisch gemeint sein kann.
          Ja so etwas gibt es in der Tat. Die Götter sind aber auch Projektionsflächen der Wünsche des Menschen, von ihrer Endlichkeit und Schicksalsabhängigkeit befreit zu werden. Die sind dann nicht ironisch. Dem Weltgeschehen von oben herab nur zuschauen zu können - das möchte das arme vom willkürlichen Schicksal wie ein Blatt im Wind hin und her geworfene Menschlein nur allzu gerne!

          Beste Grüße
          Holger

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            #20
            Bernd - höre Dir "Sirene" vielleicht noch einmal an. Das Stück ist eigentlich sehr luzide - zusammengehalten durch den Rhythmus. Musik als Abbild der Natur: Die Wellen im Meer - das Hin- und Her, Ebbe und Flut, eine durchgehende Bewegung in unendlichen Facetten und Verwandlungen. Das ist von Barockmusik so weit entfernt auch wieder nicht - bei einer Passacaglia gibt es auch keine "Form", sondern eine sich ewig wiederholende Struktur. Bei Debussy ist das alles nur alles unendlich flexibler!

            Bei Debussy darf man auch nicht vergessen, daß er Anti-Wagnerianer ist. Wagner hat ja die Formlosigkeit des Musikalisch-Erhabenen proklamiert gegen das für ihn nur oberflächlich Schöne (die "tönend-bewegte Form" seines Kontrahenten Eduard Hanslick). Debussy dagegen sucht immer nach dem Schönen, d.h. nach der Struktur im Klang. Dieser Antiwagnerianismus Debussys erklärt auch die gewissen klassizistischen Züge in seinem Spätwerk wie der Sonate für Violine und klavier.

            Beste Grüße
            Holger

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              #21
              Schön Holger, dass du ein Thread über Debussy eröffnest hast.

              Von den wichtigsten Dirigenten von Debussy sind die Meisten schon erwähnt wurden.
              Ich möchte auch den Name Ernest Ansermet dazu zählen. Man vergisst ihn oft.

              Gruss

              Kommentar


                #22
                Zitat von Dezibel Beitrag anzeigen
                Zufällig habe ich auch diese wunderbare CD in meiner bescheidenen Klassikauswahl.
                Heute habe ich sie zum zweiten mal gehört - faszinierend .... und auch aufnahmetechnisch ein echtes Highlight - von mir ***** (von 5) !


                Diese hochpreisige CD gibts inzwischen weit günstiger - sämtliche Debussy-Ravel Aufnahmen von Boulez bei der DGG - 6 CD-Box für etwas über 30 Euro:



                Eine Institution quasi in Sachen impressionistischer Musik ist Ernest Ansermet - mit seinem berühmten Orchestre de la Suisse Romande - er setzte Maßstäbe, was die Durchsichtigkeit des Klanges angeht. Ein "Muß" für Sammler:



                Beste Grüße
                Holger

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                  #23
                  Zitat von Titian Beitrag anzeigen
                  Schön Holger, dass du ein Thread über Debussy eröffnest hast.

                  Von den wichtigsten Dirigenten von Debussy sind die Meisten schon erwähnt wurden.
                  Ich möchte auch den Name Ernest Ansermet dazu zählen. Man vergisst ihn oft.
                  Hallo Titian,

                  da haben sich unsere Postings gekreuzt und wir funken mal wieder auf derselben Wellenlänge! Heute morgen früh beim Aufstehen dachte ich - Ansermet, darauf mußt Du unbedingt hinweisen!

                  Beste Grüße
                  Holger

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                    #24
                    Ich möchte auch den Name Ernest Ansermet dazu zählen. Man vergisst ihn oft.
                    Mit ihm habe ich mit dieser Aufnahme kürzlich Bekanntschaft machen können - und war binnen Minuten total begeistert:



                    Gruß
                    Franz

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                      #25
                      Eine wirklich herausragendes Debussy-Ereignis:

                      La Mer mit Arturo Toscanini, ein Konzert aus der New Yorker Carnegie-Hall von 1953 mit seinem NBC-Orchester. Das ist eine geradezu elektrisierende Spannung: hochdramatisch, glasklar und zugleich sinnlich. "La Mer" nicht als schickes Wasserbild, sondern als Musikdrama. Wer dies einmal gehört hat, wird es nie mehr vergessen! Gibt es inzwischen als Einzelausgabe inclusive der Proben (wer nicht den Schuber mit Toscaninis kompletten Aufnahmen kaufen will, zu haben für 130 Euro):



                      Beste Grüße
                      Holger

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                        #26
                        Welchen Schuber von Toscanini meinst du?

                        Ich habe zwei LP-Boxen mit allen (????) Aufnahmen von Toscanini. Es sind knapp über 100 LPs.
                        Vor 1-2 Jahren wollte ich sie verkaufen.

                        Kommentar


                          #27
                          Zitat von Titian Beitrag anzeigen
                          Welchen Schuber von Toscanini meinst du?

                          Ich habe zwei LP-Boxen mit allen (????) Aufnahmen von Toscanini. Es sind knapp über 100 LPs.
                          Vor 1-2 Jahren wollte ich sie verkaufen.
                          Titian, diesen hier:

                          Sämtliche Aufnahmen Arturo Toscaninis mit dem New York Philharmonic, dem Philadelphia Orchestra und dem NBC SO auf 84 CDs und einer DVD



                          Wenn Du gerne Platten hörst, dann würde ich an Deiner Stelle die LP-Kollektion behalten. Ist inzwischen ja eine Rarität!

                          Schöne Sonntagsgrüße (bei uns macht er dem Namen alle Ehre, es scheint die Sonne!)
                          Holger

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                            #28
                            Hommage à Debussy II. Die Sirenen (I)

                            Es ist zum erheblichen Teil den Musikern zu verdanken – vor allem den Komponisten der 50iger und 60iger Jahre, die sich der Serialität verschrieben hatten – dass Debussys impressionistische „Sinnlichkeit“ nicht nur als eine Form von effektvoller Kinomusik rezipiert, sondern gewissermaßen als die Initialzündung von „Neuer Musik“ begriffen wurde, eine Komposition mit reinen Klängen, Formen und Farben. Dies reflektiert noch einmal der 1981 erschienene, Debussy gewidmete Band der „Musik-Konzepte“. In dem Beitrag von Hans Rudolf Zeller „Von den Sirenen zu >...La sérénade interrompue“ heißt es über die Rezeption von Debussys Musik:

                            „...nicht die Komplexität der strukturellen Prozesse, sondern der typisch Debussysche Klanggestus wurden rezipiert und in gewisser Weise sogar produktiv verstanden, dass heißt ohne lang zu fragen in der Unterhaltungs- und Filmmusik ausgewertet, wie nur noch der Wagners. Erst im Zusammenhang mit den Klangkompositionen der fünfziger und sechziger Jahre, als Form wieder >Herzenssache< (Cage) war und die Komponisten sich in ihren Analysen auf ihre unmittelbare Hörerfahrung beriefen, entwarfen Essays und Analysen von Boulez, Schnebel, Eimert, Stockhausen ein neues Debussy-Bild, indem sie beschrieben, was eigentlich immer schon hätte gehört werden können.“

                            Eine „Analyse“, die nicht irgendwie scholastisch abstrakt konstruiert und rekonstruiert, sich vielmehr auf das Erlebte, die „unmittelbare Hörerfahrung“ beruft – in geradezu idealer, gelungener Weise führt dies der Beitrag von Dieter Schnebel vor Sirènes oder der Versuch einer sinnlichen Musik. Zu Debussys frühen Orchesterwerken.

                            http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Schnebel


                            Schnebel beginnt mit der Beschreibung des unmittelbaren Erlebens, des „ersten Eindrucks“ der Musik von Edgar Varèse und Claude Debussy, welche „leiblich erfahrbar“ mache, „was Klang ist, nämlich vibrierende Luft (...) man hört die Schwingungen nicht nur, sondern man spürt sie auf der Haut, so dass man solche Musik eigentlich ohne Kleider vernehmen sollte, um die Beschallung möglichst allseitig aufzunehmen; in die Klangfülle nicht nur mit den Ohren, sondern ganz einzutauchen.“ Es ist dieses sinnliche Vibrieren, das gleichsam physische Hin- und Herschwingen, was die „Struktur“ dieser Musik ausmacht: das Sinnliche und „Formale“ sind also keineswegs getrennte Dinge, sondern ein- und dasselbe. So prägt „L´Après-midi d´un Faune“ das „Hin und Her, durch das sich die Linien der Soloflöte schlängeln“. Dieses „erzeugt einen ständigen Wandel der atmosphärischen Dichte“. In „Fêtes“ aus den „Nocturnes“ ist es vornehmlich ein Vibrieren des Raumes, ein ständiger Wechsel von Nähe und Ferne, wie in der Prozessionsszene, wo das Geschehen vom Hörer wegrückt, um sich ihm dann wieder mit Macht zu nähern. Ähnliches gilt für die Sirenenstimmen in „Sirènes“: „Die Sirenentöne des Frauenchores steigen aus ihr (der wohligen Atmosphäre konturloser Klänge, d. Verf.) hervor und sinken auch wieder in sie zurück, so dass sich hier ein ähnliches Spiel ergibt wie in Fêtes das von Nähe und Ferne, wobei es allerdings heiße und mittägliche Luft ist, welche die Klänge ausdünstet und wieder aufsaugt.“ Schlechterdings alle musikalischen Ebenen werden von diesem atmosphärischen Vibrieren erfasst, die Formen, die Farben mit ihren „Temperaturen“ – das Changieren warmer und kalter Töne, wie auch die Rhythmen, die einen „periodischen Fluß des Pulses“ bilden.

                            Schnebels Beschreibung folgt hier sehr genau Debussys Vorstellungen über Musik – wie es sich anhand seiner Äußerungen nachvollziehen lässt. Debussy verfasste – meist polemisch-satirische – Zeitungskommentare über Musik unter dem Pseudonym „Monsieur Croche“ („Herr Achtelnote“) – die verschiedenen Texte und auch Interviews fasste er schließlich zu einem Buch zusammen, das aber erst nach seinem Tode 1920 veröffentlicht wurde. (Die deutsche Fassung, ein Reclam-Bändchen, ist leider vergriffen.).



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                              #29
                              Teil 2

                              In einem Brief an seinen Verleger Durand schreibt Debussy über die „Images“ für Orchester, insbesondere „Rondes de Printemps“: „Es ist das Besondere der Musik dieses Stücks, dass sie immateriell ist, so dass man mit ihr nicht umgehen kann wie mit einer robusten Symphonie, die auf ihren vier Füßen geht (...) Übrigens erkenne ich immer mehr, dass die Musik ihrem Wesen nach nicht eine Sache ist, die man in eine strenge und überlieferte Form gießen kann. Sie besteht aus rhythmisierten Farben und Zeiten.“ An die Stelle fester, überlieferter Formschementritt die Struktur des Ton- und Klangphänomens selbst, das aus nichts anderem besteht als „rhythmisierten Farben und Zeiten“. „Ich möchte, dass man – dass ich zu einer Musik komme, die wirklich frei von Motiven oder aus einem einzigen kontinuierlichen Motiv gebildet ist, das durch nichts unterbrochen wird und niemals zu sich selbst zurückkehrt.“ Debussy ersetzt die Formhülsen, welche dem Werk Struktur und Gestalt geben sollen, durch ein Kontinuum, ein in seiner rhythmischen Verwandlung ständig präsentes Motiv – eine durchgehende unaufhörliche Bewegung, wie sie in den Lebensrhythmen der Natur zu beobachten ist..

                              In „Sirènes“ findet sich eine solche die Musik durchgehend strukturierende, kontinuierliche rhythmische Motivbewegung schließlich auskomponiert: „Das ganze Stück wird vom Auf und Ab eines Mikrogeflechts solcher auch als Vorhaltsbildungen und Vorschläge (vor allem vom Chor) zu interpretierenden Ganztonschritte bewegt.“ (Hans Rudolf Zeller) Anders als Filmmusik, welche eine Handlung lediglich mit Bildern „untermalt“, erzählt die Musik hier selber eine Geschichte – mit den vielgestaltigen Entwicklungen und Verwandlungen ihrer omnipräsenten rhythmischen Struktur. Dieter Schnebels Analyse der ersten Takte von „Sirènes“ lässt sich deshalb auch in eine Bildererzählung fassen – Debussys Musik ist keine bloße Dekoration sondern „absolute Musik“, welche ihre Geschichte selber vorführt, statt eine außermusikalische Handlung nur zu begleiten:

                              „Symbolischer – und unter assoziativer Erinnerung an analog klingende Vorgänge lässt sich der Schwingungsverlauf dieser elf ersten Takte der Sirènes – zumal wenn man die Tonhöhen berücksichtigt – auch folgendermaßen beschreiben: eine anrollende, aufspritzende Woge, die sich im Rückgang mäßigt, nochmals leicht wirbelnd nachläuft; dies ein zweites Mal, und nun ein allmähliches Einpendeln zu regelmäßig anbrandenden Wellen. Und wieder die aufspritzende Woge, die sich zur hin- und herrollenden Wellenbewegung sänftigt, diesmal aber in anderen Farben schillernd. Schließlich kommt noch das Fächeln des Windes hinzu. In alledem aber tönen die umschmeichelnden Rufe der Sirenen, erst fast unmerklich, dann zweimal kurz hörbar werdend und wieder verschwindend.“

                              Debussy kündigt die Fertigstellung der „Nocturnes“ mit den Worten an: „J´espère que ce sera de la musique en plein ciel et qui frissonera sous le grand coup d´aile du vent de la Liberté! “ (Debussy, Lettres 1884-1918) „Musique en plein ciel“ – Musik unter freiem Himmel“ – die musikalische Idee der „Nocturnes“ lässt sich in Verbindung bringen mit einer der ästhetischen Reflexionen von Monsieur Croche, „La musique en plein air“, „Musik im Freien“.

                              „Man könnte sich ein riesiges Orchester vorstellen, das durch die Mitwirkung menschlicher Stimmen noch erweitert würde (keinen „Gesangsverein“! Danke bestens). Und daher die Möglichkeit einer Musik, die eigens fürs „Freie“ geschaffen wäre, einer Musik der großen Linienzüge, der vokalen und instrumentalen Kühnheiten, die über den Wipfeln der Bäume im Licht der freien Luft spielten und schwebten. Eine solche Harmoniefolge erschiene in der Abgeschlossenheit des Konzertsaals befremdlich, hier aber könnte sie zu ihrer wahren Geltung kommen. Hier auch fände sich vielleicht das Mittel, sich aus den kleinlichen Formalien, den willkürlich festgelegten Klanglichkeiten zu lösen, die der Musik hemmend im Wege stehn.

                              Wohlverstanden: Es kommt dabei nicht auf die Arbeit „im Groben“ an, sondern „im Großen“; übersteigerte Klangwirkungen zu wiederholen und das Echo damit zu langweilen, darum geht es nicht. Man muß vielmehr die großen Klangwirkungen dazu benutzen, den Traum von Harmonie in der Seele der Menge zu vertiefen. Ein geheimnisvolles Ineinanderweben der wehenden Lüfte, des Säuselns der Blätter, des Blumendufts vollzöge sich, und die Musik könnte alle diese Elemente zu einer so vollkommenen natürlichen Einheit binden, dass es schiene, als hätte sie an jedem von ihnen teil.“

                              Das musikalische „Kontinuum“, das Debussy vorschwebt, vereinigt menschliche und natürliche Klänge, wobei das Band die Natur stiftet: der Chor der Stimmen ist als die Erweiterung eines orchestralen Klangteppichs gedacht. Debussy will keinen „Gesangsverein“, keine Gesangs- und Geselligkeitskultur, sondern einen „naturhaften“ Gesang wie den der Sirenen. Die Sirenen, sie sind eigentlich Mischwesen aus Vogel- und Menschenleibern. Bei Debussy mischt sich entsprechend der stimmliche Klang mit den stimmlosen Tönen des Orchesters.

                              Was bewirkt dieser Stumme Gesang? Die Wahrnehmung der „reinen“ Stimme beseitigt den schroffen Betonungsakzent des Sprechtonfalls und macht damit den Gefühlsausdruck unendlich flexibel, befreit ihn aus der dem Wortausdruck anhaftenden Starre. Es entsteht auf diese Weise ein Kontinuum von „valeurs“, von Farb- und „Stimmungs“-Tönen der Stimme, welche das Farbenspiel der Naturtöne spiegelt. Das Verführerische des Sirenengesangs – es ist seine „Weichheit“, der Reiz des Versinkens in einem Wohlklang, ohne sich jedoch völlig in ihm zu verlieren, statt dessen zu „schillern“ in einer Ausdruckspalette zwischen schwelgerischer und ermattender Sehnsucht. Schnebels subtile Analyse gibt diese dämonische Ambivalenz und oszillierende Ausdrucksvielfalt der Sirenen treffend wieder:

                              „Tatsächlich wirken die summenden Frauenstimmen als solche der Sirenen, insofern sie nämlich in die Wellenbewegungen mit ihren warmen Spektren eingebettet sind, sowohl in die realen der schwingenden Luft, als auch in die symbolischen, welche eben diese darstellt. Nachdem die Sirenenlaute erst kaum wahrnehmbar mit dem „Spiel der Wellen“ vermischt erschienen, treten sie im folgenden drängender hervor. Eine schalmeiartige Figur des Englischhorns leitet in wirkliche Lockrufe über (Partitur S. 75, T. 3), die sich bald zu strömenden Gesängen steigern, welche von den Wellenfiguren der umgebenden Musik getragen werden. Die Wogen geraten kurz in Unruhe, während der die Stimmen verstummen (S. 83, T 3 f.); dann setzt der Gesang wieder ein, führt zu einem ersten schwelgerischen Höhepunkt (S. 87, Ziffer 5I und geht zurück, derweil sich das Jeux des Vagues beruhigt. Die siestaähnliche Stille (S. 85 „un peu plus lent“) wird von weichen Wellen durchzogen (Figuren in Terzparallelen, die alternierend durch die Instrumente wandern). Der Sirenengesang tönt „doux et soutenu“ – und eigentlich müde und schlaff, dadurch erst recht betörend (wieder die Nonenakkorde der naturtönigen Spektren und eine ähnliche Folge der Grundtöne zu Beginn: dort Fis, A, C, hier Des, C, A). Das „belebt sich hauptsächlich im Ausdruck“ (S. 91, Ziffer 6) und führt zu einem zweiten, allerdings rein instrumentalen Höhepunkt, während dessen die Stimmen pausieren (S. 93, Ziffer 7). Dem folgt nochmals das Spiel der Wellen zusammen mit dem müden Gesang, nun aber nicht „süß“, sondern „verhalten ausdrucksvoll“ (S. 95, Ziffer 8), bald auch drängend und nochmals in die ziehenden großen Melodien mündend, die sich jetzt endgültig verströmen (S. 101f.). „Doux et expressif“ ertönt ein letztes Mal die müde Stelle – in großer Ruhe (S. 106, T 2 f., über einem langstehenden Spektrum), befriedigt oder resigniert? In der Coda geht die Beruhigung weiter, „plus lent et en tetenant jusqu´à la fin“, währenddessen die Sirenentöne im allgemein zarten und fernen Klang und in den letzten Wellenbewegungen untergehn. Die Beschwörung des mythischen Gesangs der Sirenen durch Gestaltung ihrer Atmosphäre ist zu Ende und sie versinken in ihr, mit ihr.“

                              Nach Schnebel potenziert sich bei Debussy die Sinnlichkeit, indem „die Gestaltung von Schwingungsvorgängen“ in ihrer „besonderen semantischen Ausformung nochmals Sinnlichkeit“ darstellt. „Anders als die Musik Wagners drückt die Musik nicht Sinnlichkeit aus, vielmehr ist sie es. Sie spricht nicht von den Lockungen der Sirenen, sondern lässt sie selbst erscheinen.“ Dies umschreibt einmal mehr den „Impressionismus“ – es gibt nichts „hinter“ der vordergründigen Erscheinung, den „Eindrücken“, so wie sie sich darbieten – es gibt keinen Ausdruck eines verborgenen Inneren, an dessen Stelle tritt eine „Stimmung“, die sich durch die Harmonie und den Rhythmus der Klänge unmittelbar vermittelt in einer Impression – „phänomenologische Musik“. Gleichwohl – betont Schnebel – im Vergleich mit Wagners „Tristan und Isolde“ wirke dieser Sirenengesang kühl:

                              „Das mag einmal daran liegen, dass die Präsentation des unverhüllt Sinnlichen unsinnlich wirkt, ähnlich wie das Modell des Malers zum Abstraktum wird. Zum anderen nimmt die protokollierte Sinnlichkeit nur die Oberfläche auf, und die Aufnahme selbst geschieht emotionslos kühl. Ist im einen Fall der zu zahlende Preis die Erotik, so im anderen das Gefühl.“

                              Hier trifft sich Schnebel mit Ortega y Gasset, dem zufolge Debussys Musik den Weg vom Subjektiven zum Objektiven geht, die Musik „enthumanisiert“. Enthumanisierung bedeutet eine Naturalisierung des Ausdrucks: Die Sirenen verlieren ihr menschliches Antlitz und werden eins mit dem Meer – ihre „Sinnbilder der Lockung“ sind deshalb die „des Meeres selbst“.


                              Beste Grüße
                              Holger

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                                #30
                                Hallo Holger!

                                Vielen Dank für Deine weiteren erhellenden Beiträge, wirklich sehr interessant für mich zu lesen, natürlich wieder ausgedruckt worden und von mir studiert worden bzw. muss noch abermals durchgelesen werden.

                                Wir haben übrigens Glück, das Reclam Buch ist nach wie vor lieferbar (2010 neu aufgelegt), aus dem Titel ist jedoch Monsieur Croche entfernt worden (die Gesamtseitenzahl ist jedoch ident). ist bereits bestelllt! Holger, DANKE!!!!

                                Ich habe in der neuen Originals Auflage nachgesehen, da wird nichts zum Remastering angemerkt, leider, sonst hätte ich Dir die Information gerne weiter gegeben.

                                Ich habe, da ich sowohl Boulez/CSO/DGG als auch Abbado/BSO/DGG besitze, verglichen. Mein Fazit: Im Prinzip ist die Boulez Aufnahme prima vista nicht schlecht, hat auch einen Grammy bekommen, aber für mich ist Abbado einfach unerreicht:
                                1. Der Chor ist bei Boulez nach meinem Empfinden - knapp aber doch über der Grenze des guten Geschmacks, zu dick aufgetragen.
                                2. Die Bläser des BSO sind für mich bei ihrem Spiel deutlich sinnlicher, das ist für mich unerreicht, die waren zu der Zeit einfach optimal besetzt und hatten viel Erfahrung in diesem französischem Repertoire (Munch ....).
                                3. Die Akustik der Boston Symphony Hall unterstützt hervorragend die Vorstellung die Klänge in der freien Natur zu erleben, die Musik wirkt deutlich "sphärischer" als bei der Akustik bei Boulez. Das ist gerade bei diesem Werk ein immenser Vorteil. Da kann die Boulez Aufnahme einfach nicht mit, zumal das ganze Orchester und der Chor bei Abbado auch gesamthafter akustisch dargestellt wird. Die Tonmeister haben bei der Abbado Aufnahme geniale Arbeit geleistet.

                                Ich habe die Boulez Aufnahme sowie auch andere Aufnahmen schon viele Jahre vor der Abbado Aufnahme gehabt, aber das Werk richtig schätzen gelernt habe ich erst durch die Abbado Aufnahme. Ein Meisterwerk in einer Meisterinterpretation.

                                Beste Grüße

                                Gerhard
                                Zuletzt geändert von Gerhard; 07.10.2012, 20:38.

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