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    Martha Argerich: Chopin-Wettbewerb 1965

    Nachdem die Sommerhitze sich zurückgezogen hat, traute ich mich heute das erste Mal wieder meine „Heizöfen“ einzuschalten und mich daran zu begeben, endlich den Stapel ungehörter CDs „abzuarbeiten“. Das Label Capriccio hat Aufnahmen vom Warschauer Chopin-Wettbewerb herausgebracht (5 CDs) aus verschiedenen Jahren, wo Martha Argerich, Ivo Pogorelich, Pollini und viele andere zu hören sind. Begonnen habe ich mit Martha Argerich. Was für ein phänomenales Klavierspiel! Wer glaubt, sie forciere mit ihrem Temperament beim 1. Chopin-Klavierkonzert das Tempo und fege wie ein Sturm durch die Partitur, der irrt sich gewaltig! Die Argerich nimmt gefangen durch die völlig uneitle Natürlichkeit ihres Spiels. Das ist absolute manuelle Beherrschung, die so selbstverständlich daher kommt, dass man sie gar nicht merkt. Ein Chopin ohne jede Extravaganzen und doch extravagant: klare und schön ausgespielte organische Linien, ein menschlich-warmer, sensibler und klangsinniger Vortrag, der aber Chopin nie verzärtelt, sondern aristokratische Haltung bewahrt, ungemein brilliant aber niemals vordergründig brillierend. Das Finale zelebriert sie mit einer solchen Leichtigkeit, dass man das höllische Tempo gar nicht merkt! Das ist einfach nur beglückend und man möchte gleich noch einmal alles von vorne hören... Schöner kann Klavierspiel nicht sein! Als Solostücke vom Wettbewerb gibt es den Walzer op. 34 Nr. 1, ein Nocturne, zwei Etüden sowie das 3. Scherzo. Das ist alles aufregend – doch besonders hervorheben muß ich die Etüde op. 10 Nr. 1. Das ist ein Ereignis! Ich habe sie ja nun in meiner Jugend täglich geübt. Unfassbar, mit welcher Leichtigkeit die Argerich über diese sperrigen Dezimengriffe quer über die Tastatur hinwegfegt, dabei noch gestaltet, abtönt, Leuchtraketen verschiedener Farben versprüht. Da kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus! Diese Etüde hat sie später nie mehr aufgenommen – um so wertvoller ist dieses Dokument. Und sie macht in dieser stressigen Wettbewerbssituation (fast) keinen Fehler! Ihr irrwitziges Tempo ist ungefähr das von Cziffra (Cziffra 1. 48 Min.), Maurizio Pollini, der in seiner Studioaufnahme aus den 70igern ein paar Sekündchen mehr braucht (1.55), benötigte 90 (!) Schnitte für diese Aufnahme. Zum Vergleich: Perahia: 2.01 Min. Andere sind da deutlich langsamer. Da lohnt es sich, eine Zeitungskritik von damals (Polen 1965) zu zitieren:

    „Viele der international herausragenden Pianisten haben versucht, die schwierige C-Dur-Etüde op. 10 Nr. 1 zu spielen, seit Horowitz sie aufgenommen hat. (Hat er das wirklich? Ich glaube nicht – da irrt sich der Rezensent wohl!) Niemandem aber ist sie so grandios gelungen wie Martha Argerich. Vom ersten Augenblick an zeigte diese phänomenale Argentinierin mit den stählernen Fingern ein ganzes Stimmungsspektrum in den extraordinären, blitzartigen Passagen der rechten Hand – ihr Tempo und ihre Artikulation in dieser Etüde sind ohnegleichen...“ (Stolica, 7. März 1965)

    Anschließend habe ich eine andere meiner ungehörten Platten hervorgeholt: Rachmaninow Preludes mit Andrei Nikolsky, ein Neuhaus-Schüler, der den Brüsseler Wettbewerb gewann und leider in den 80igern bei einem Autounfall verstarb. Sehr souverän und klangsinnig gespielt, mit russischer Seele, gewichtig, aber ohne übertrieben lastende Schwere. Die CD (Arte Nuova) wird im Moment für 2-3 Euro ausverkauft.

    Mal sehen, wie es morgen weitergeht....

    Beste Grüße
    Holger

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      Der Libanese Abdel Rahman El Bacha spielte beim Label Forlane das komplette Klavierwerk von Chopin chronologisch ein – eine Box mit insgesamt 12 CDs. Mir liegt zur „Begutachtung“ CD 8 vor, die ich mir heute zu Gemüte geführt habe. Das Programm: Nocturne KK IV b/II, Ballade Nr. 2, 4 Mazurkas op. 41, Scherzo Nr. 3, Sonate Nr. 2 op. 35, 2 Nocurnes op. 37, Impromptu op. 36, 3 Nouvelles Etudes.

      El Bachas Chopin hat unbestreitbare Qualitäten: Das sind ein immer geradliniges Spiel und sein Sinn, den Aufbau von Chopins Kompositionen stets wohlproportioniert darzustellen, eine Treffsicherheit in formaler und auch geschmacklicher Hinsicht, über die andere Chopin-Spieler mit Namen durchaus nicht in dem Maße verfügen. Auch der Klang der Aufnahme ist ansprechend homogen und klangvoll, ohne übertriebene Härten. Am meisten liegen El Bacha finde ich die dramatischen Stücke wie die Ballade Nr. 2 und auch das Scherzo Nr. 2 mit seinen wilden Ausbrüchen. Seine Grenzen werden deutlich vor allem bei den lyrischen Stücken. Als Beispiel herausnehmen möchte ich die Mazurka op. 41 Nr. 2 – ein Stück das ich besonders liebe sowie das Nocturne op. 37 Nr. 1 (die Tracks Nr. 3 u. 12). Zum Vergleich bei der Mazurka: Artur Rubinstein (RCA, seine letzte Aufnahme) sowie Vladimir Sofronitzky (in der Box von Brilliant-Classics), für das Nocturne: Rubinstein (RCA, die letzte Aufnahme) sowie Adam Harasiewicz (in der Chopin-Box aus der Eloquence-Serie). Wer diese Aufnahmen besitzt, der möge hier selber nachhören, ich würde mich freuen über eine Resonanz! Beginnen wir mit dem Nocturne: Das klingt bei El Bacha alles zu simpel, irgendwie „symmetrisch“. Was fehlt ist ein individuelles Rubato-Spiel, d.h. eine Phrasierung, welche die Musik immer ein wenig aus dem monotonen Gleichgewicht und damit zum Schwingen bringt, ihr auf diese Weise „Leben“ einhaucht. El Bacha spielt praktisch kein Rubato, die Folge ist eine gewisse Sterilität, so eine Art neusachlicher Notenpositivismus. Zieht man etwa beim Nocturne op. 37 Nr. 1 Rubinstein heran, dann fällt auf, dass El Bacha sich offenbar an dem großen Polen orientiert hat. Auch Rubinstein hält sich sehr eng an den Notentext, erlaubt sich keine subjektivistischen Ausschweifungen. Die Unterschiede sind wahrlich nicht groß, aber entscheidend. Altmeister Rubinstein versteht es, kleine Verzögerungen, feine Abstufungen einzubauen, welche die Musik damit zum „Schwingen“ bringen. Dieses äußerst sparsam dosierte Rubato ist hier das Salz in der Suppe. Harasiewicz Aufnahme ist noch etwas freier und ein wahres Wunder! Das ist eine ungemein flexible, bewegliche Phrasierung, die aufregende emotionale Stimmungswechsel hervorbringt. Unbedingt hörenswert. „Flexibilität“ ist das entscheidende Stichwort – El Bachas Phrasierungsbemühen behalten eine gewisse Steifheit, so dass der Vortrag dann doch etwas akademisch trocken wirkt.

      Ein anders schönes Beispiel ist die Mazurka op. 41 Nr. 2. Auch hier wirkt El Bachas Spiel steif. Warum? Wieder liegt es an der fehlenden belebenden Phrasierung. Bei Rubinstein hört man wirklich Phrasen, die „ausgesungen“ werden, die sich als solche erst einmal herausheben – bei El Bacha erkennt man die Phrasen zwar, aber sie haben keinen wirklichen Anfang und kein Ende – in ihnen pulsiert einfach kein lebendiger Atemrhythmus. Und dann gibt es in dieser Mazurka nach melancholischen Beginn diesen unbeschreiblichen Ausdruck, der sich auf eine Insel der Seligen hinträumt, wo man wahrlich eine Gänsehaut bekommt. El Bacha spielt da positivistisch einfach Forte, der Notentext wird nicht weiter ausgedeutet – es ereignet sich entsprechend auch rein gar nichts! Was an dieser Stelle dagegen Rubinstein wie auch Sofronitzky (genialisch, seine Chopin-Mazurken!) an Zauber entfalten, das ist dann doch Klavierspiel einer ganz anderen Dimension. Und die Interpretation der Sonate? Gut! Seine Qualitäten zeigt er, aber auch seine Grenzen. Große Chopin-Spieler haben die Fähigkeit, einen Ton „abzutönen“ in feinen Stufen. Über eine solche Variabilität des Anschlags verfügt El Bacha offenbar nur sehr begrenzt, so dass gerade die lyrischen Passagen etwas glatt wirken. (Man vergleiche diesbezüglich noch einmal Rubinsteins ungemein feinsinnige Spielkunst in der Mazurka op. 41 Nr. 2 mit El Bachas doch sehr biederen pianistischen Möglichkeiten!) Es fehlt ihm an den entscheidenden expressiven Stellen eine nachdrückliche Phrasierung, die Ausdrucksintensität und damit so etwas wie einen persönlichen Ton hervorbringen könnte. Ein sehr gutes Chopin-Spiel zweifellos, niemals wirklich langweilig, aber auch eines, das insgesamt ein bisschen unpersönlich und indifferent wirkt, mit den ganz großen „Klaviertitanen“ also dann doch nicht mithalten kann!

      Beste Grüße
      Holger
      Zuletzt geändert von Gast; 31.07.2010, 21:50.

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        Zwei CDs aus dem "Ligeti Project" von Teldec / Warner:



        Györgi Ligeti, Exilungar und Wahlwiener, hat es trotz seines Status als prononcierter Avantgardist und Neutöner zu so etwas Ähnlichem wie Popstar-Ruhm gebracht. Das verdankt er natürlich der Tatsache, daß seine Kompositionen "Atmosphères", "Lux aeterna" sowie Ausschnitte aus dem Requiem von 1965 eine prominente Rolle in Stanley Kubricks "Space Odyssey" spielten. Der Stil dieser mikrotonalen Werke aus den Sechzigern ist ganz persönlich und unverwechselbar Ligeti.

        Aber Ligeti hat in den 50 Jahren seines Schaffens auch andere Phasen durchlaufen; das reicht von klassizistischen Frühwerken in der Tradition Bartoks bis zur etwas konventionelleren (wenn man das so sagen kann) Avantgarde in späteren Jahren. Auch elektronische Musik ist dabei, z.B. die "Artikulation" aus 1958. Speziell in den Vokalwerken ist oft ein humoristischer Einschlag zu spüren.

        Die Einspielungen der Teldec-Edition wurden vom Meister selbst überwacht und mit Anmerkungen im Beiheft ausgestattet, sind also sozusagen definitiv. Nach fünf CDs wurde das Projekt aus kommerziellen Gründen (?) abgebrochen und zum Glück bei Sony fortgesetzt.

        Auf YouTube findest du die angesagtesten Videos und Tracks. Außerdem kannst du eigene Inhalte hochladen und mit Freunden oder gleich der ganzen Welt teilen.

        In the 70's, Rainer Wehinger created a visual listening score to accompany Gyorgy Ligeti's Artikulation. I scanned the pages and synchronized them with the m...

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          Zitat von Spalatro Beitrag anzeigen
          Zwei CDs aus dem "Ligeti Project" von Teldec / Warner:



          Györgi Ligeti, Exilungar und Wahlwiener, hat es trotz seines Status als prononcierter Avantgardist und Neutöner zu so etwas Ähnlichem wie Popstar-Ruhm gebracht. Das verdankt er natürlich der Tatsache, daß seine Kompositionen "Atmosphères", "Lux aeterna" sowie Ausschnitte aus dem Requiem von 1965 eine prominente Rolle in Stanley Kubricks "Space Odyssey" spielten.
          Hallo Spalatro,

          das finde ich toll, daß Du Ligeti hier vorstellst! Einer ganz großen Komponisten des 20. Jahrhunderts. "Atmospheres" ist eines seiner berühmtesten und eindrucksvollsten Stücke. Ich habe davon eine Aufnahme mit dem WDR-Symphonieorchester unter Ernest Bour. (CD von Wergo)

          Beste Grüße
          Holger

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            Mahler

            Hallo Holger!

            Mahler III mit CSO und Haitinik sowie Ravel Daphnis & Chloe mit CSO und Haitink sind bestellt und unterwegs, ich freue mich schon darauf.

            Eine Frage: Welche Literatur kannst Du zu den Werken Mahlers empfehlen? Zum Leben von Mahler habe ich einiges aber zu seinen Werken könnte ich gute Literatur brauchen. Hast Du Tipps?

            Besten Dank!

            Herzlichen Grüsse

            Gerhard

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              Zitat von Gerhard Beitrag anzeigen
              Mahler III mit CSO und Haitinik sowie Ravel Daphnis & Chloe mit CSO und Haitink sind bestellt und unterwegs, ich freue mich schon darauf.

              Eine Frage: Welche Literatur kannst Du zu den Werken Mahlers empfehlen? Zum Leben von Mahler habe ich einiges aber zu seinen Werken könnte ich gute Literatur brauchen. Hast Du Tipps?
              hallo Gerhard,

              super! Viel Spaß beim Hören! Was Mahler-Literatur angeht, die werkbezogen ist: Hans-Heinrich Eggebrecht: Die Musik Gustav Mahlers. Vorzüglich!

              Beste Grüße
              Holger

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                Mahler

                Hallo Holger!

                Danke für Deinen Literatur Tipp. Nur zur Sicherheit: Ist das ein Buch, das auch für einen "Nichtmusikwissenschafter" geeignet ist?

                Besten Dank!

                Gerhard

                Kommentar


                  Zitat von Gerhard Beitrag anzeigen
                  Danke für Deinen Literatur Tipp. Nur zur Sicherheit: Ist das ein Buch, das auch für einen "Nichtmusikwissenschafter" geeignet ist?
                  Hallo Gerhard,

                  auf jeden Fall! Das ist sehr verständlich geschrieben!

                  Beste Grüße
                  Holger

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                    Hallo Holger!

                    Besten Dank für Deine Information!

                    Herzliche Grüsse

                    Gerhard

                    Kommentar


                      Hallo Holger!

                      So Haitink/CSO mit Mahler 3 und Dapnhis und Chloe sowie Poulenc/Gloria sind angekommen und mittlerweile gehört. Was soll ich sagen? Ganz ausgezeichnet! Die Präzision für sich ist einmal atemberaubend und natürlich auch interpretatorisch ganz phantastisch. Das mit der Klangsinnlichkeit des Orchesters ist sehr treffend beschrieben. Herzlichen Dank für den Tipp! Die Überraschung auf den CDs war Gloria von Poulenc. Das ist ja ein ganz tolles Werk und spricht unmittelbar an, ich habe es inzwischen drei Mal gehört!!

                      Holger, Besten Dank für den Tipp! Hast Du inzwischen andere CDs aus der Serie?

                      Beste Grüsse

                      Gerhard

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                        Zitat von Gerhard Beitrag anzeigen
                        Die Überraschung auf den CDs war Gloria von Poulenc. Das ist ja ein ganz tolles Werk und spricht unmittelbar an, ich habe es inzwischen drei Mal gehört!!

                        Holger, Besten Dank für den Tipp! Hast Du inzwischen andere CDs aus der Serie?
                        Hallo Gerhard,

                        das freut mich! Für mich war der Poulenc auch eine glückliche Entdeckung - ein wirklich wunderbares Stück. Es lief vor 3 Wochen im Fernsehen, habe leider auf den falschen Knopf der Fernsteuerung gedrückt und so nichts aufgenommen! Ich habe noch nichts anderes aus der Serie - der Strauß ist noch nicht erschienen in Europa. Wenn der Beethoven kommt, den ich in Chicago gehört habe, dann wird er natürlich sofort gekauft!

                        Beste Grüße
                        Holger

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                          Poulenc

                          Hallo Gerhard,

                          falls du Interesse an weiteren Werken von Poulenc haben solltest, könnte ich dir diese Doppel-CD mit Konzerten empfehlen:



                          Du kannst bei jpc ja mal hereinhören:

                          http://www.jpc.de/jpcng/classic/deta...e/hnum/2848964

                          Gestern habe ich die 7.Symphonie von Mahler gehört in der Einspielung von Eliahu Inbal aus der - lohnenswerten - Brilliant Box:



                          http://www.jpc.de/jpcng/classic/deta...0/hnum/7148114

                          Die Aufnahmequalität ist - wie eigentlich immer bei dieser Einspielung - aller erster Güte. Die Musik empfinde ich als ausgesprochen schwierig. Mahler gönnt dem Hörer keine Pause, treibt von einer Fanfare zur nächsten. Er soll die Symphonie als "heiter" und "humoristisch" beschrieben haben. Das kann ich nun gar nicht mehr nachhvollziehen. Sie erscheint mir eher düster-bombastisch, oft an der Grenze zum pathetischen Kitsch. Aber das ist generell ein Problem, das ich mit seiner symphonischen Musik habe. Sie berührt mich stellenweise emotional, erscheint mir aber immer sonderbar strukturlos, wie ein Sammelsurium von Versatzstücken, die eigentlich kaum zusammen passen. Ich weiss, dass ist ein Kritikpunkt der schon immer gegen seine Musik vorgebracht wurde. Er erscheint mir nichts desto trotz nicht ganz falsch zu sein. Aber vielleicht ist das auch eine Frage der Hörerfahrung. Möglicherweise steht mir da meine bisherige Erfahrung mit der Musik des Barock und der Klassik im Wege, die mir doch deutlich strukturierte und klarer erscheint.

                          VG, Bernd

                          Kommentar


                            Zitat von zatopek Beitrag anzeigen
                            Gestern habe ich die 7.Symphonie von Mahler gehört in der Einspielung von Eliahu Inbal aus der - lohnenswerten - Brilliant Box:



                            Die CD Gustav Mahler: Symphonien Nr.1-10 jetzt probehören und portofrei für 57,99 Euro kaufen. Mehr von Gustav Mahler gibt es im Shop.


                            Die Aufnahmequalität ist - wie eigentlich immer bei dieser Einspielung - aller erster Güte. Die Musik empfinde ich als ausgesprochen schwierig. Mahler gönnt dem Hörer keine Pause, treibt von einer Fanfare zur nächsten. Er soll die Symphonie als "heiter" und "humoristisch" beschrieben haben. Das kann ich nun gar nicht mehr nachhvollziehen. Sie erscheint mir eher düster-bombastisch, oft an der Grenze zum pathetischen Kitsch. Aber das ist generell ein Problem, das ich mit seiner symphonischen Musik habe. Sie berührt mich stellenweise emotional, erscheint mir aber immer sonderbar strukturlos, wie ein Sammelsurium von Versatzstücken, die eigentlich kaum zusammen passen. Ich weiss, dass ist ein Kritikpunkt der schon immer gegen seine Musik vorgebracht wurde. Er erscheint mir nichts desto trotz nicht ganz falsch zu sein. Aber vielleicht ist das auch eine Frage der Hörerfahrung. Möglicherweise steht mir da meine bisherige Erfahrung mit der Musik des Barock und der Klassik im Wege, die mir doch deutlich strukturierte und klarer erscheint.
                            Hallo Bernd,

                            die 7. ist wirklich eine schwierige Symphonie in vielerlei Hinsicht. Ich habe ja im letzten jahr eine Aufführung hier in Bielefeld erlebt. Dieser riesige Orchesterapparat ist extrem schwer zu beherrschen. Die Bielefelder Philharmoniker hatten nicht unerhebliche Abstimmungsprobleme. Die Folge davon ist, daß gerade der 1. Satz sehr bunt und "knallig" wird. Nach Mahlers Äußerungen soll das eine Naturschilderung sein, ein gewisser "mystischer" Zug sollte schon da sein. Von Inbal habe ich nur die 5. und 10., nicht die 7.! Er war Assistant von Bernstein. Wie sein Lehrmeister neigt er zu einer gewissen Drastik, ganz bewußten Übertreibung. Das sollte man bei der 7. nicht tun! Pathetisch darf sie eigentlich nicht klingen. Neumanns Aufnahme hast Du doch auch? Die ist sehr schön. Meine Empfehlung: Kyrill Kondrashin. Ich habe die Aufnahme mit den Leningrader Philh. - Mrawinskys Orchester. Gerade erschienen ist ein Konzertmitschnitt von 1979 mit dem Concertgebouw Orkest - den muß ich mir noch besorgen! Die Orchesterleistung (die Leningrader) ist unvergleichlich - nirgendwo klingt der 1. Satz so "naturhaft" schön wie bei Kondrashin!

                            Auch die Interpretation der Symphonie ist schwierig. Bei Mahler ist jede Symphonie eine Welt für sich. Ich habe bisher keine Interpretation der 7. gelesen, die das Rätsel dieser Symphonie wirklich löst. Es gibt einige Anhaltspunkte. Alma schreibt: Mahler schwebten bei den Nachtmusiken "Eichendorffsche Visionen vor, plätschernde Brunnen, deutsche Romantik". Das kann man glaube ich nachvollziehen - das ist sehr "stimmungsromantisch". Bei der 1. Nachtmusik hat Mahler offenbar die "Nachtwache" von Rembrandt vorgeschwebt - die hängt ja in Amsterdam im Rijksmuseum, direkt gegenüber vom Concertgebouw, wo Mahler zu Besuch war. Schwierig vor allem ist der 1. Satz und der Aufbau. Mir hilft immer, wenn man sich die 7. als Gegenentwurf zur 6. vorstellt. Der 1. Satz der 6. hat klassizistische, geradezu "akademische" Züge einer Sonatensatzarchitektur (deren Sinn allerdings dramaturgisch verkehrt wird), bei der 7. ist davon nichts zu erkennen. Das hast Du als "strukturlos" und als "Sammelsurium von Versatzstücken" beschrieben. Das ist von Mahler natürlich gewollt. Adorno hat in seinem berühmten Mahler Buch diese Heterogenität bei Mahler durch seine negative Dialektik interpretiert und zu Recht die "romanhaften" Züge bei Mahler hervorgehoben. Von F. Schlegel stammt die romantische Definition des Romans als einer "Novellenkette". Novellenkette - das beschreibt diesen 1. Satz nicht unzutreffend, löst das Rätsel für mich aber auch nicht wirklich. Es gibt einen interessanten Brief von Alfons Diepenbrock, der auf die "jüdischen" Seiten dieses Satzes hinweist, die Beziehung zu bestimmten Liedern. Das ist typisch für das Romanhafte: Der Romanschriftsteller bedient sich schon eines vorgeordneten Materials, Bruchstücke werden verwendet in diesem Bau, was den Eindruck der Heterogenität hervorruft.

                            Im Aufbau sind die 6. und 7. gegensätzlich: Die 6. besteht aus lauter Symmetriebrüchen, die 7. ist symmetrisch. Besonders die 3 Mittelsätze. Um das garstige, kafkaeske Scherzo hat Mahler die zwei "schönen" Nachtmusiken platziert wie einen Krankeitserreger, der eingekapselt wird, damit nur ja nichts passiert, die Büchse der Pandora nicht geöffnet wird. Ebenso symmetrisch ist das Finale - ein klassisches Kehrausfinale, ein Rondo - während in der 6. das Finale das Zentrum des Dramas ist, ein Sonatensatz. Zum Finale sagte Mahler "Was kost die Welt?" D.h. hier schreitet "Bruder Leichtfuß" durch die Welt - so ähnlich wie im Grimmschen Märchen von einem der auszog, das Fürchten zu lernen, den Tod und Teufel nicht schrecken können. Das klingt sehr barock, hat etwas von einem "carpe diem" ("Nutze den Tag"!), es wird viel "Lärm" gemacht, die Dämonen durch eine Fest-Stimmung verscheucht. Ich vergleiche das immer mit einem chinesischen Feuerwerk, das ja den Sinn hat, die Dämonen zu vertreiben. Die sind ja durchaus da - das ist nicht einfach nur ruchlose "Positivität" wie Adorno behauptet. Am Schluß droht die Stimmung völlig zu kippen - und die bösen Erinnerungen werden mit einem Trommelwirbel sehr handgreiflich verscheucht. Ein sehr irdisches, diesseitiges Glück, das etwas von einer Theaterinszenierung hat - der Mensch schafft sich selbst die Bedingungen für sein Glück ohne metaphysischen Halt wie noch in der 2., 3. und 4. ("Humor" gibt es ab der 5. und den "Kindertotenliedern" nicht mehr als Symphoniekonzept bei Mahler!) Constantin Floros meint, daß im Finale Mahler Nietzsches "ewige Wiederkehr des Gleichen" habe gestalten wollen - eine etwas gewagte Hypothese. Sicher, Mahler hat den "Zarathustra" gelesen - und in der 3. "Das andere Tanzlied" von Nietzsche ja auch vertont. Das unterstreicht nur noch einmal die Rätselhaftigkeit dieser Symphonie!

                            Beste Grüße
                            Holger
                            Zuletzt geändert von Gast; 20.08.2010, 11:34.

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                              Hallo Holger,

                              vielen Dank für deine Ausführungen.

                              Du hast einen sehr "analytisch-intellektuellen" Zugang zu dieser Musik. Da merkt man den Musikwissenschaftler in dir :N

                              Mir fehlt dieser Hintergrund völlig und ich denke, dass macht es eben nicht einfacher, solche Musik genießen zu können. Mir fehlt ehrlich gesagt momentan auch die Zeit und die Geduld, mir diese Kenntnisse anzueignen. Ich höre mich mal einfach weiter durch.

                              VG, Bernd

                              Kommentar


                                Zitat von zatopek Beitrag anzeigen
                                Du hast einen sehr "analytisch-intellektuellen" Zugang zu dieser Musik. Da merkt man den Musikwissenschaftler in dir :N

                                Mir fehlt dieser Hintergrund völlig und ich denke, dass macht es eben nicht einfacher, solche Musik genießen zu können. Mir fehlt ehrlich gesagt momentan auch die Zeit und die Geduld, mir diese Kenntnisse anzueignen. Ich höre mich mal einfach weiter durch.
                                Hallo Bernd,

                                von Hause aus bin ich ja kein Musikwissenschaftler - lese allerdings sehr intensiv diese Literatur! Die musikwissenschaftlichen "Analytiker" regen mich im Falle Mahler oft eher auf mit ihrem Formalismus, z.B. Constantin Floros. Der analysiert doch tatsächlich ein Sonatensatzschema im Eröffnungssatz. Davon ist aber überhaupt nichts zu hören - es wird nicht einmal der Versuch gemacht, die Hörerfahrung einer "Novellenkette" irgendwie in der Analyse zu berücksichtigen. Es mag ja sein, daß in Mahlers Entwurf ein solches Schema ursprünglich vorhanden war. In der Ausführung der Komposition ist da aber etwas ganz anderes daraus geworden - so wie bei Picasso in diesem schönen Film, wo er auf eine Glasplatte malt und dann aus einer Vase ein Fisch wird...

                                Ich gehe da eher als "Hermeneutiker" an die Problematik heran. Mahlers Symphonik hat unbestreitbar Züge einer "Symphonischen Dichtung" - er hat z.B. den 1. Satz der 2. Symphonie als Symphonische Dichtung mit dem Titel "Totenfeier" veröffentlicht. Es gibt diese Äußerung von ihm wo er sagt, "eine Symphonie heißt mir eben, mit allen vorhandenen Mitteln der Technik eine Welt aufbauen". Da kann man ansetzen: Was für ein Weltbezug wird da jeweils ausgedrückt? Im 1. Satz der 7. ist das eine Naturerfahrung. Die "Nacht" ist romantisch besetzt: romantische "Nachtbegeisterung", aber auch die Ambivalenz - die dämonischen Gespenster. Dann die Tageshelle des Finales. Die Analyse, die man macht, muß schließlich etwas zum Sinnverstehen beitragen können. Wenn das nicht geschieht, dann ist das wirklich nur interessant für Musikwissenschaftler, die Analyse als Selbstzweck betreiben. Das ist natürlich nicht mein Verständnis von Analyse - deshalb schätze ich solche Leute wie H.H. Eggebrecht, weil sie Analyse nicht ohne Hermeneutik betreiben. Davon hat man dann wirklich etwas!

                                Beste Grüße
                                Holger
                                Zuletzt geändert von Gast; 20.08.2010, 12:40.

                                Kommentar

                                Lädt...
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