Martha Argerich: Chopin-Wettbewerb 1965
Nachdem die Sommerhitze sich zurückgezogen hat, traute ich mich heute das erste Mal wieder meine „Heizöfen“ einzuschalten und mich daran zu begeben, endlich den Stapel ungehörter CDs „abzuarbeiten“. Das Label Capriccio hat Aufnahmen vom Warschauer Chopin-Wettbewerb herausgebracht (5 CDs) aus verschiedenen Jahren, wo Martha Argerich, Ivo Pogorelich, Pollini und viele andere zu hören sind. Begonnen habe ich mit Martha Argerich. Was für ein phänomenales Klavierspiel! Wer glaubt, sie forciere mit ihrem Temperament beim 1. Chopin-Klavierkonzert das Tempo und fege wie ein Sturm durch die Partitur, der irrt sich gewaltig! Die Argerich nimmt gefangen durch die völlig uneitle Natürlichkeit ihres Spiels. Das ist absolute manuelle Beherrschung, die so selbstverständlich daher kommt, dass man sie gar nicht merkt. Ein Chopin ohne jede Extravaganzen und doch extravagant: klare und schön ausgespielte organische Linien, ein menschlich-warmer, sensibler und klangsinniger Vortrag, der aber Chopin nie verzärtelt, sondern aristokratische Haltung bewahrt, ungemein brilliant aber niemals vordergründig brillierend. Das Finale zelebriert sie mit einer solchen Leichtigkeit, dass man das höllische Tempo gar nicht merkt! Das ist einfach nur beglückend und man möchte gleich noch einmal alles von vorne hören... Schöner kann Klavierspiel nicht sein! Als Solostücke vom Wettbewerb gibt es den Walzer op. 34 Nr. 1, ein Nocturne, zwei Etüden sowie das 3. Scherzo. Das ist alles aufregend – doch besonders hervorheben muß ich die Etüde op. 10 Nr. 1. Das ist ein Ereignis! Ich habe sie ja nun in meiner Jugend täglich geübt. Unfassbar, mit welcher Leichtigkeit die Argerich über diese sperrigen Dezimengriffe quer über die Tastatur hinwegfegt, dabei noch gestaltet, abtönt, Leuchtraketen verschiedener Farben versprüht. Da kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus! Diese Etüde hat sie später nie mehr aufgenommen – um so wertvoller ist dieses Dokument. Und sie macht in dieser stressigen Wettbewerbssituation (fast) keinen Fehler! Ihr irrwitziges Tempo ist ungefähr das von Cziffra (Cziffra 1. 48 Min.), Maurizio Pollini, der in seiner Studioaufnahme aus den 70igern ein paar Sekündchen mehr braucht (1.55), benötigte 90 (!) Schnitte für diese Aufnahme. Zum Vergleich: Perahia: 2.01 Min. Andere sind da deutlich langsamer. Da lohnt es sich, eine Zeitungskritik von damals (Polen 1965) zu zitieren:
„Viele der international herausragenden Pianisten haben versucht, die schwierige C-Dur-Etüde op. 10 Nr. 1 zu spielen, seit Horowitz sie aufgenommen hat. (Hat er das wirklich? Ich glaube nicht – da irrt sich der Rezensent wohl!) Niemandem aber ist sie so grandios gelungen wie Martha Argerich. Vom ersten Augenblick an zeigte diese phänomenale Argentinierin mit den stählernen Fingern ein ganzes Stimmungsspektrum in den extraordinären, blitzartigen Passagen der rechten Hand – ihr Tempo und ihre Artikulation in dieser Etüde sind ohnegleichen...“ (Stolica, 7. März 1965)
Anschließend habe ich eine andere meiner ungehörten Platten hervorgeholt: Rachmaninow Preludes mit Andrei Nikolsky, ein Neuhaus-Schüler, der den Brüsseler Wettbewerb gewann und leider in den 80igern bei einem Autounfall verstarb. Sehr souverän und klangsinnig gespielt, mit russischer Seele, gewichtig, aber ohne übertrieben lastende Schwere. Die CD (Arte Nuova) wird im Moment für 2-3 Euro ausverkauft.
Mal sehen, wie es morgen weitergeht....
Beste Grüße
Holger
Nachdem die Sommerhitze sich zurückgezogen hat, traute ich mich heute das erste Mal wieder meine „Heizöfen“ einzuschalten und mich daran zu begeben, endlich den Stapel ungehörter CDs „abzuarbeiten“. Das Label Capriccio hat Aufnahmen vom Warschauer Chopin-Wettbewerb herausgebracht (5 CDs) aus verschiedenen Jahren, wo Martha Argerich, Ivo Pogorelich, Pollini und viele andere zu hören sind. Begonnen habe ich mit Martha Argerich. Was für ein phänomenales Klavierspiel! Wer glaubt, sie forciere mit ihrem Temperament beim 1. Chopin-Klavierkonzert das Tempo und fege wie ein Sturm durch die Partitur, der irrt sich gewaltig! Die Argerich nimmt gefangen durch die völlig uneitle Natürlichkeit ihres Spiels. Das ist absolute manuelle Beherrschung, die so selbstverständlich daher kommt, dass man sie gar nicht merkt. Ein Chopin ohne jede Extravaganzen und doch extravagant: klare und schön ausgespielte organische Linien, ein menschlich-warmer, sensibler und klangsinniger Vortrag, der aber Chopin nie verzärtelt, sondern aristokratische Haltung bewahrt, ungemein brilliant aber niemals vordergründig brillierend. Das Finale zelebriert sie mit einer solchen Leichtigkeit, dass man das höllische Tempo gar nicht merkt! Das ist einfach nur beglückend und man möchte gleich noch einmal alles von vorne hören... Schöner kann Klavierspiel nicht sein! Als Solostücke vom Wettbewerb gibt es den Walzer op. 34 Nr. 1, ein Nocturne, zwei Etüden sowie das 3. Scherzo. Das ist alles aufregend – doch besonders hervorheben muß ich die Etüde op. 10 Nr. 1. Das ist ein Ereignis! Ich habe sie ja nun in meiner Jugend täglich geübt. Unfassbar, mit welcher Leichtigkeit die Argerich über diese sperrigen Dezimengriffe quer über die Tastatur hinwegfegt, dabei noch gestaltet, abtönt, Leuchtraketen verschiedener Farben versprüht. Da kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus! Diese Etüde hat sie später nie mehr aufgenommen – um so wertvoller ist dieses Dokument. Und sie macht in dieser stressigen Wettbewerbssituation (fast) keinen Fehler! Ihr irrwitziges Tempo ist ungefähr das von Cziffra (Cziffra 1. 48 Min.), Maurizio Pollini, der in seiner Studioaufnahme aus den 70igern ein paar Sekündchen mehr braucht (1.55), benötigte 90 (!) Schnitte für diese Aufnahme. Zum Vergleich: Perahia: 2.01 Min. Andere sind da deutlich langsamer. Da lohnt es sich, eine Zeitungskritik von damals (Polen 1965) zu zitieren:
„Viele der international herausragenden Pianisten haben versucht, die schwierige C-Dur-Etüde op. 10 Nr. 1 zu spielen, seit Horowitz sie aufgenommen hat. (Hat er das wirklich? Ich glaube nicht – da irrt sich der Rezensent wohl!) Niemandem aber ist sie so grandios gelungen wie Martha Argerich. Vom ersten Augenblick an zeigte diese phänomenale Argentinierin mit den stählernen Fingern ein ganzes Stimmungsspektrum in den extraordinären, blitzartigen Passagen der rechten Hand – ihr Tempo und ihre Artikulation in dieser Etüde sind ohnegleichen...“ (Stolica, 7. März 1965)
Anschließend habe ich eine andere meiner ungehörten Platten hervorgeholt: Rachmaninow Preludes mit Andrei Nikolsky, ein Neuhaus-Schüler, der den Brüsseler Wettbewerb gewann und leider in den 80igern bei einem Autounfall verstarb. Sehr souverän und klangsinnig gespielt, mit russischer Seele, gewichtig, aber ohne übertrieben lastende Schwere. Die CD (Arte Nuova) wird im Moment für 2-3 Euro ausverkauft.
Mal sehen, wie es morgen weitergeht....
Beste Grüße
Holger
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