Der Thread soll ein Geburtstagsgruß an Debussy sein - jeder soll sich dazu aufgefordert fühlen, eine eigene, ganz persönliche "Hommage" (Beschreibung seines Lieblingsstücks o.ä.) hinzuzufügen, in der Form, die er möchte.
Es gibt Musik, die umgibt den Musikfreund gleichsam wie ein ständiger Begleiter und führt ihn durch das Leben – ohne sie kann er nicht leben. Man braucht sie von Zeit zu Zeit zu hören – oder zu spielen, wenn man ein Musikinstrument wie das für Debussy so wichtige Klavier beherrscht –, sie ist einem also einverleibt als ständiges „Bedürfnis“. So geht es mir mit Claude Debussy schon seit meiner Jugend. Einmal gehört – und man ist gefesselt und gefangen, Liebe auf den ersten Blick sozusagen. Arturo Benedetti Michelangeli, zusammen mit Walter Gieseking der wohl größte Interpret seiner Klaviermusik, sagte über Debussy: Das wäre „seine“ Musik gewesen von Anfang an.
Was also macht das Besondere dieser Musik aus? „Impressionismus“ nennt man diesen von Debussy begründeten Musikstil. Und der Vergleich mit der Malerei ist in der Tat sprechend – die „Impression“, der „Eindruck“ ist es, der einen sofort einnimmt. Claude Monet malt eigentlich „nichtssagende“ Motive – ein Gewässer im Vordergrund, eine Allee Bäume und ein Haus. Nicht diese „Gegenstände“ sind es, welche rein gar nichts irgend wie Großartiges „bedeuten“ könnten, welche ein impressionistisches Bild so außergewöhnlich machen. Dass man seinen Anblick nie mehr vergisst, liegt an dem Eindruck, den es vermittelt: Die Welt erscheint wie neu geschaffen, als erblicke man alles wie zum ersten Mal, mit den Augen eines Neugeborenen sozusagen. Es ist genau diese Frische, Unverbrauchtheit, die einen auch bei Debussys Klängen sofort gefangen nimmt: Man taucht ganz ein und unter in den „Augenblick“ des Erklingens – aber gerade nicht im Sinne einer Fesselung, vielmehr einer Kraft der Faszination, die ein nahezu unendliches Freiheitsgefühl vermittelt. Debussys Klänge haben in ihrer dem Augenblick verhafteten Selbstgenügsamkeit jede Erdenschwere verloren, in Ihrer Losgelöstheit lassen sie die Phantasie in die Ferne schweifen; diese Musik aktiviert alle Sinne; Klang ist hier wie ein alles durchflutendes „Licht“, das auf etwas blicken lässt: Das Hören wird gleichsam „sehend“, indem es sinnliche Eindrücke vermittelt.
Nichts könnte dies wohl besser vermitteln als Debussys Beschreibung seiner „Nocturnes“ für Orchester:
„Der Titel Nocturnes will hier in allgemeiner und vor allem mehr dekorativer Bedeutung verstanden werden. Es handelt sich hier also nicht um die übliche des Nocturno, sondern um alle Eindrücke und speziellen Beleuchtungen, die in diesem Wort enthalten sein könnten. Nuages: Das ist der Anblick des unbeweglichen Himmels mit dem langsamen und melancholischen Zug der Wolken, zuletzt ein graues Verlöschen, mit sanften weißen Tönungen. Fêtes: das ist die Bewegung, der tanzende Rhythmus der Atmosphäre mit grell aufblitzendem Licht: es ist auch die visionäre, blendende Episode eines Aufzugs von phantastischen Gestalten, der sich durch das Fest bewegt und in ihm verschwindet, aber das Grundmotiv bleibt hartnäckig bestehen, und es ist immer das Fest und seine Mischung von Musik und leuchtendem Staub, die am Gesamtrhythmus teilhat. Sirènes: das ist das Meer und sein unendlicher Rhythmus; dann erklingt, lacht und vergeht aus den vom Mondlicht versilberten Wellen der geheimnisvolle Gesang der Sirenen.“
In Homers „Odyssee“ verstopft Odysseus der Mannschaft seines Schiffes die Ohren, damit sie nicht der Verführungskraft der Sirenen erliegen. Er selbst bindet sich an den Mast und hört ihnen so ungefährdet zu. Auch bei Debussy bleiben die Ohren und Augen offen, die verführerischen Rhythmen des Meeres – man genießt sie schauend und zuschauend gleichsam aus der Ferne, wie die Prozessionsszene in Fêtes. In Debussys impressionistischem Ästhetizismus steckt in der Tat etwas Homerisches, weht der Geist des alten Griechenlands: Das erhabene Glück der Götter besteht nach Homer darin, Zuschauer des Weltgeschehens zu sein, in das „Schicksal“ nicht verwickelt zu werden wie die Menschen unten auf der Erde. Genau das macht Debussys visionäre Eindrücke so anziehend: Diese Musik „erdrückt“ uns nicht, sie rückt uns nicht „auf die Pelle“, wahrt die glückliche Distanz der Lust des Schauens und Zuschauens, feiert gleichsam sich selbst und darin den Genuss am schönen Schein des Erblickten.
Debussys Beschreibung offenbart aber auch die „Tiefe“ des Impressionismus – hinter der Oberfläche der bloßen Sinnesempfindung. Die vordergründigen Eindrücke haben stets einen Hintergrund, ein „Geheimnis“. Die Grenze von Impressionismus und Symbolismus – sie ist bei Debussy stets fließend. Anspielungen, Andeutungen bleiben als solche vage und unbestimmt, sie benennen keine Gegenstände in eindeutiger Weise und gehören deshalb zum Eindruck und seiner evozierenden Kraft, welcher die (Deutungs-)Phantasie erregt, die mit diesen symbolischen Verweisungen ein nahezu unendliches Spiel treiben kann. Debussys Beschreibung knüpft sich – wie er es selbst ausspricht – an das Wort, den Titel, der Eindrücke evozieren kann, d.h. ein Zeichen, welches die Phantasie nicht etwa beschränkt, sondern in ihrer Freiheit eines „Spiels“ mit assoziativen Andeutungen herausfordert. Das zeigt sich bei „Nuages“. Im Bild der ziehenden Wolken, einer ruhig-gleichförmigen Bewegung ohne Anfang und Ende, verbirgt sich das symbolistische Geheimnis der Darstellung des Ewigen in der Zeit. Der Zug der Wolken als eine herkunfts- und ziellose Bewegung, er ruft in uns ein Gefühl von Zeitenthobenheit hervor. Damit zeigt das ästhetische Erleben die geradezu magische Fähigkeit, die „Zeit in der Zeit“ aufzuheben – eine Formulierung von Friedrich Schiller. Doch verrät sich mit der leisen Melancholie dieses erhabenen Schönen zugleich die sehr irdische Vergänglichkeit eines eben doch nur scheinbar Zeitlos-Beständigen: Die Wolken lösen sich sanft auf ins grenzenlose Nichts. In die Erfahrung höchsten Glücks, dem rollenden Rad der Zeit entkommen zu sein, mischt sich also stille Trauer – zum impressionistischen Ästhetizismus gehört seine Gebrochenheit des Wissens um ein im Grunde nichtiges Sein, ein verführerisches und verlockendes Trugbilde: Auch das Schöne und Schönste zeitlosen Seins ist nur ein flüchtiger, vergehender Augenblick. Friedrich Nietzsche, dem Debussy in vielerlei Hinsicht ein Geistesverwandter ist, nannte dies eine „Artistenmetaphysik“. Metaphysik – die Erfassung transzendenten, bleibenden Seins, des „Ewigen“ jenseits der Zeit – ist in der positivistisch aufgeklärten Moderne nicht mehr außerhalb, sondern nur noch innerhalb des Erfahrbaren möglich: als eine Erfahrung der Kunst, in der Form der Erzeugung eines schönen Scheins.
Es gibt Musik, die umgibt den Musikfreund gleichsam wie ein ständiger Begleiter und führt ihn durch das Leben – ohne sie kann er nicht leben. Man braucht sie von Zeit zu Zeit zu hören – oder zu spielen, wenn man ein Musikinstrument wie das für Debussy so wichtige Klavier beherrscht –, sie ist einem also einverleibt als ständiges „Bedürfnis“. So geht es mir mit Claude Debussy schon seit meiner Jugend. Einmal gehört – und man ist gefesselt und gefangen, Liebe auf den ersten Blick sozusagen. Arturo Benedetti Michelangeli, zusammen mit Walter Gieseking der wohl größte Interpret seiner Klaviermusik, sagte über Debussy: Das wäre „seine“ Musik gewesen von Anfang an.
Was also macht das Besondere dieser Musik aus? „Impressionismus“ nennt man diesen von Debussy begründeten Musikstil. Und der Vergleich mit der Malerei ist in der Tat sprechend – die „Impression“, der „Eindruck“ ist es, der einen sofort einnimmt. Claude Monet malt eigentlich „nichtssagende“ Motive – ein Gewässer im Vordergrund, eine Allee Bäume und ein Haus. Nicht diese „Gegenstände“ sind es, welche rein gar nichts irgend wie Großartiges „bedeuten“ könnten, welche ein impressionistisches Bild so außergewöhnlich machen. Dass man seinen Anblick nie mehr vergisst, liegt an dem Eindruck, den es vermittelt: Die Welt erscheint wie neu geschaffen, als erblicke man alles wie zum ersten Mal, mit den Augen eines Neugeborenen sozusagen. Es ist genau diese Frische, Unverbrauchtheit, die einen auch bei Debussys Klängen sofort gefangen nimmt: Man taucht ganz ein und unter in den „Augenblick“ des Erklingens – aber gerade nicht im Sinne einer Fesselung, vielmehr einer Kraft der Faszination, die ein nahezu unendliches Freiheitsgefühl vermittelt. Debussys Klänge haben in ihrer dem Augenblick verhafteten Selbstgenügsamkeit jede Erdenschwere verloren, in Ihrer Losgelöstheit lassen sie die Phantasie in die Ferne schweifen; diese Musik aktiviert alle Sinne; Klang ist hier wie ein alles durchflutendes „Licht“, das auf etwas blicken lässt: Das Hören wird gleichsam „sehend“, indem es sinnliche Eindrücke vermittelt.
Nichts könnte dies wohl besser vermitteln als Debussys Beschreibung seiner „Nocturnes“ für Orchester:
„Der Titel Nocturnes will hier in allgemeiner und vor allem mehr dekorativer Bedeutung verstanden werden. Es handelt sich hier also nicht um die übliche des Nocturno, sondern um alle Eindrücke und speziellen Beleuchtungen, die in diesem Wort enthalten sein könnten. Nuages: Das ist der Anblick des unbeweglichen Himmels mit dem langsamen und melancholischen Zug der Wolken, zuletzt ein graues Verlöschen, mit sanften weißen Tönungen. Fêtes: das ist die Bewegung, der tanzende Rhythmus der Atmosphäre mit grell aufblitzendem Licht: es ist auch die visionäre, blendende Episode eines Aufzugs von phantastischen Gestalten, der sich durch das Fest bewegt und in ihm verschwindet, aber das Grundmotiv bleibt hartnäckig bestehen, und es ist immer das Fest und seine Mischung von Musik und leuchtendem Staub, die am Gesamtrhythmus teilhat. Sirènes: das ist das Meer und sein unendlicher Rhythmus; dann erklingt, lacht und vergeht aus den vom Mondlicht versilberten Wellen der geheimnisvolle Gesang der Sirenen.“
In Homers „Odyssee“ verstopft Odysseus der Mannschaft seines Schiffes die Ohren, damit sie nicht der Verführungskraft der Sirenen erliegen. Er selbst bindet sich an den Mast und hört ihnen so ungefährdet zu. Auch bei Debussy bleiben die Ohren und Augen offen, die verführerischen Rhythmen des Meeres – man genießt sie schauend und zuschauend gleichsam aus der Ferne, wie die Prozessionsszene in Fêtes. In Debussys impressionistischem Ästhetizismus steckt in der Tat etwas Homerisches, weht der Geist des alten Griechenlands: Das erhabene Glück der Götter besteht nach Homer darin, Zuschauer des Weltgeschehens zu sein, in das „Schicksal“ nicht verwickelt zu werden wie die Menschen unten auf der Erde. Genau das macht Debussys visionäre Eindrücke so anziehend: Diese Musik „erdrückt“ uns nicht, sie rückt uns nicht „auf die Pelle“, wahrt die glückliche Distanz der Lust des Schauens und Zuschauens, feiert gleichsam sich selbst und darin den Genuss am schönen Schein des Erblickten.
Debussys Beschreibung offenbart aber auch die „Tiefe“ des Impressionismus – hinter der Oberfläche der bloßen Sinnesempfindung. Die vordergründigen Eindrücke haben stets einen Hintergrund, ein „Geheimnis“. Die Grenze von Impressionismus und Symbolismus – sie ist bei Debussy stets fließend. Anspielungen, Andeutungen bleiben als solche vage und unbestimmt, sie benennen keine Gegenstände in eindeutiger Weise und gehören deshalb zum Eindruck und seiner evozierenden Kraft, welcher die (Deutungs-)Phantasie erregt, die mit diesen symbolischen Verweisungen ein nahezu unendliches Spiel treiben kann. Debussys Beschreibung knüpft sich – wie er es selbst ausspricht – an das Wort, den Titel, der Eindrücke evozieren kann, d.h. ein Zeichen, welches die Phantasie nicht etwa beschränkt, sondern in ihrer Freiheit eines „Spiels“ mit assoziativen Andeutungen herausfordert. Das zeigt sich bei „Nuages“. Im Bild der ziehenden Wolken, einer ruhig-gleichförmigen Bewegung ohne Anfang und Ende, verbirgt sich das symbolistische Geheimnis der Darstellung des Ewigen in der Zeit. Der Zug der Wolken als eine herkunfts- und ziellose Bewegung, er ruft in uns ein Gefühl von Zeitenthobenheit hervor. Damit zeigt das ästhetische Erleben die geradezu magische Fähigkeit, die „Zeit in der Zeit“ aufzuheben – eine Formulierung von Friedrich Schiller. Doch verrät sich mit der leisen Melancholie dieses erhabenen Schönen zugleich die sehr irdische Vergänglichkeit eines eben doch nur scheinbar Zeitlos-Beständigen: Die Wolken lösen sich sanft auf ins grenzenlose Nichts. In die Erfahrung höchsten Glücks, dem rollenden Rad der Zeit entkommen zu sein, mischt sich also stille Trauer – zum impressionistischen Ästhetizismus gehört seine Gebrochenheit des Wissens um ein im Grunde nichtiges Sein, ein verführerisches und verlockendes Trugbilde: Auch das Schöne und Schönste zeitlosen Seins ist nur ein flüchtiger, vergehender Augenblick. Friedrich Nietzsche, dem Debussy in vielerlei Hinsicht ein Geistesverwandter ist, nannte dies eine „Artistenmetaphysik“. Metaphysik – die Erfassung transzendenten, bleibenden Seins, des „Ewigen“ jenseits der Zeit – ist in der positivistisch aufgeklärten Moderne nicht mehr außerhalb, sondern nur noch innerhalb des Erfahrbaren möglich: als eine Erfahrung der Kunst, in der Form der Erzeugung eines schönen Scheins.
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