Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.

Das Ende von Lang Lang? Konzert in Wien 28.2.2010

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

    #76
    Hallo Klassikfreunde!

    Um auf das Thema zurückzukommen, die Einhaltung des Willen des Komponisten bei der Wiedergabe.

    Es gab einmal hier im Forum von Holger (Kaletha) einen Beitrag/Diskussion, deren Details ich vergessen habe, vielleicht kann uns Holger hier das nochmals erläutern, zu folgendem Thema: Das 10. Prelude des ersten Bandes von Claude Debussy, La cathedrale engloutie (die versunkene Kathedrale) wird von Claude Debussy (es gibt davon Welte Mignon Rollen, wenn ich nicht irre) anders gespielt als es im Notentext steht. Vielleicht kann uns Holger erklären, wie die Pianisten damit umgehen, was wird für wesentlich gehalten: Der Notentext oder das Spiel von Claude Debussy?

    Ich kann aus der Welt des Streichquartetts von einem ähnlichen Problem berichten, ich gebe inhaltlich wieder, was man in schlauen Beitexten zu Aufnahmen dazu finden kann: Der erste Satz des Streichquartetts von Maurice Ravel wird in den Aufnahmen des International Quartet und des Galimir Quartet, die Ravel selbst betreute, schneller gespielt wird als in der Partitur notiert (Viertel = 120). Folgt man der Partitur dauert der Satz ca. 9 Minuten, die von Ravel betreuten Einspielungen hingegen 7:30 Minuten. In den heutigen Einspielungenfindet sich die ganze Bandbreite: 7: 32 Minuten braucht das Alban Berg Quartett, ca. 8:00 Minuten zB Hagen Quartett, Melos Quartett, Vlach Quartett, ca. 9 Minuten zB das Quartetto Italiano, Cleveland Quartet.

    Beste Grüsse

    Gerhard
    Zuletzt geändert von Gerhard; 24.10.2010, 20:19.

    Kommentar


      #77
      Zitat von Gerhard Beitrag anzeigen
      Das 10. Prelude des ersten Bandes von Claude Debussy, La cathedrale engloutie (die versunkene Kathedrale) wird von Claude Debussy (es gibt davon Welte Mignon Rollen, wenn ich nicht irre) anders gespielt als es im Notentext steht. Vielleicht kann uns Holger erklären, wie die Pianisten damit umgehen, was wird für wesentlich gehalten: Der Notentext oder das Spiel von Claude Debussy?
      Das lässt sich relativ leicht mit einem Fehler (bzw. einer fehlenden Angabe) im ursprünglich gedruckten Notentext erklären. Nachdem Debussys alte Rollenaufnahme allgemein bekannt wurde, wurde eine entsprechend korrigierte Neuausgabe erstellt. Seitdem spielen es die einen so, die anderen so. Aber schon Alfred Cortot, von dem ebenfalls eine Aufnahme überliefert ist, spielte die besagten Passagen genau wie Debussy, obwohl es da den revidierten Notentext noch gar nicht gab und er wahrscheinlich auch Debussys Aufnahme nicht gehört hatte. Wie kam er dazu? Ganz einfach - er kannte den Komponisten persönlich.

      Gruß,
      Markus

      Kommentar


        #78
        Zitat von Gerhard Beitrag anzeigen
        Um auf das Thema zurückzukommen, die Einhaltung des Willen des Komponisten bei der Wiedergabe.

        Es gab einmal hier im Forum von Holger (Kaletha) einen Beitrag/Diskussion, deren Details ich vergessen habe, vielleicht kann uns Holger hier das nochmals erläutern, zu folgendem Thema: Das 10. Prelude des ersten Bandes von Claude Debussy, La cathedrale engloutie (die versunkene Kathedrale) wird von Claude Debussy (es gibt davon Welte Mignon Rollen, wenn ich nicht irre) anders gespielt als es im Notentext steht. Vielleicht kann uns Holger erklären, wie die Pianisten damit umgehen, was wird für wesentlich gehalten: Der Notentext oder das Spiel von Claude Debussy?

        Ich kann aus der Welt des Streichquartetts von einem ähnlichen Problem berichten, ich gebe inhaltlich wieder, was man in schlauen Beitexten zu Aufnahmen dazu finden kann: Der erste Satz des Streichquartetts von Maurice Ravel wird in den Aufnahmen des International Quartet und des Galimir Quartet, die Ravel selbst betreute, schneller gespielt wird als in der Partitur notiert (Viertel = 120). Folgt man der Partitur dauert der Satz ca. 9 Minuten, die von Ravel betreuten Einspielungen hingegen 7:30 Minuten. In den heutigen Einspielungenfindet sich die ganze Bandbreite: 7: 32 Minuten braucht das Alban Berg Quartett, ca. 8:00 Minuten zB Hagen Quartett, Melos Quartett, Vlach Quartett, ca. 9 Minuten zB das Quartetto Italiano, Cleveland Quartet.
        Lieber Gerhard,

        die Welte-Mignon-Aufnahmen von Debussy selbst (1913) sind in der Tat spannend. Sie zeigen nämlich, daß er den Notentext offenbar als eine "Etappe" in der Fixierung eines Kompositionsprozesses verstand und nicht als endgültigen Abschluß. Da gibt es in Nr. 10 die Abweichung, daß die Fortissimo-Passage des Themas eigentlich mit dem halben Tempo gespielt werden soll - ist so notiert in der Henle-Ausgabe. Michelangeli. Gieseking und Co. folgen da der Ausgabe von Durand. Auch in Prelude Nr. 1 ("Danseuses de Delphes") gibt es am Schluß eine interessante Abweichung, was das "räumliche" Denken von Debussy belegt (Oktave oben und Baß unten) - ich habe die Stücke ja schließlich selbst gespielt!

        Über Ravels Streichquartett weißt Du mehr als ich! Das Tempo ist eine Frage der Interpretation - weil Tempobezeichnung meist auch Ausdrucksbezeichungen sind. Einige Komponisten schreiben die Metronomzahl exakt vor wie Bartok. Von Strawinsky als Dirigent gibt es die schöne Karrikatur, wo er vor dem Orchester steht mit einem Metronom in der Hand, das für ihn den Takt schlägt... Ein hochinteressantes Thema!

        Beste Grüße
        Holger
        Zuletzt geändert von Gast; 24.10.2010, 23:53.

        Kommentar


          #79
          Zitat von matadoerle Beitrag anzeigen
          Hallo Holger,
          vielleicht habe ich meinen Unterschied zwischen "ernst" und ernsthaft nicht greifbar gemacht. "Ernst" verstehe ich im Sinne von humorlos, regularisch, wissenschaftlich mit dem Anspruch einer Wahrheit (was auch immer das in der Musik sein soll); also abgehoben von der Rezeption, dem Empfinden und der Verarbeitung des Dargebotenen beim Zuhörer. "Ernst" im Sinne von Arbeit, von Akkuratesse, von "Begründen müssen" und krampfhaft nach dem Sinne forschen, Elitär und Wertend.
          Hallo Thorsten,

          Du deutest es selbst an. Vom Standpunkt des Interpreten und Rezipienten sieht die Sache jeweils anders aus. Wer spielt das Tempo von Beethoven op. 7 Kopfsatz richtig, Michelangeli (langsam) oder Gulda und Schnabel (schnell)? Mein Pianistenfreund, der das Stück im Konzertexamen spielte: Michelangeli hat recht, denn da ist nicht ein 3/4, sondern ein 6/8-Takt notiert - das Tempo halbiert sich so. Und nur so stimmt die Proportion mit der Schlußgruppe der Exposition, die alle Interpreten, welche den Satz schnell angehen, dann zu langsam nehmen. Außerdem zeigt sich: Die Wahl des Tempos bedeutet eine ganz andere Ästhetik. Schnell heißt, es entsteht so etwas wie barocke Dynamik. Langsam dagegen: eine klassische, geschlossene Form. Um solche ästhetische relevanten Wertungen und Entscheidungen kommt ein Interpret letztlich nicht herum. Lazar Berman erzählt über die Maxime seines Lehrers Alexander Goldenweiser, einem der Väter der russischen Pianistenschule: "Man muß jeden Ton den man spielt begründen können!"

          Beste Grüße
          Holger

          Kommentar


            #80
            Die Metronomangabe bezieht sich auf punktierte Viertel, nicht auf den ganzen Takt.
            Im Übrigen steht zu Beginn die Spielanweisung Allegro molto e con brio.

            Gruß,
            Markus

            Kommentar


              #81
              In der Henle-Ausgabe steht überhaupt keine Metronomangabe. "Allegro molto e con brio" steht auch über manch anderen Sätzen von Beethoven, die alles andere als besonders schnell gespielt werden. Es kann also durchaus sein, daß Beethoven die Tempovorstellung "Allegro" auf die Achtel bezogen hat. Michelangeli war in der Tat der erste, der es wagte, den Satz so langsam zu spielen. Wer ihm da später gefolgt ist mit einem ähnlich gemächlichen Tempo ist Emil Gilels. Fakt ist: Man muß schon genau hinschauen in den Notentext. In dem Tempo, das Gulda und Schnabel etwa spielen, sind die von Beethoven notierten Bögen so wie sie da stehen einfach oft nicht zu realisieren. Die Binnenkomplexität und die Dramen auf kleinstem Raum hört man nur bei Michelangeli und Gilels - Gulda und Co. spielen da pauschal den großen Bogen, d.h. letztlich darüber hinweg.

              Beste Grüße
              Holger

              Beste Grüße
              Holger

              Kommentar


                #82
                Klar, die Metronomangaben hat Beethoven nachträglich erstellt und das im Wesentlichen für die Symphonien. Die Metronomisierungen für die meisten Klaviersonaten stammen ja nicht von ihm selbst, sondern von Czerny und Moscheles, die sich beide auf die persönliche Bekanntschaft mit Beethoven und die Vertrautheit mit seinen Werken "aus erster Hand" berufen. Im Fall der Sonate op.7 reden wir von punktierten Vierteln gleich 126. Ich finde das eigentlich nicht übermäßig schnell und sehe daher auch keinen Grund, im Verlauf des Satzes das Tempo herunterzufahren.
                Aber das Argument, die Metronomisierung könnte sich auf Viertel beziehen, kann ich nicht nachvollziehen, finde ich sogar ziemlich absurd, denn es handelt sich doch eindeutig um einen 6/8-Puls, sonst müsste man das Stück ja weitgehend synkopisch empfinden, es geht doch nicht um Jazz hier. Und "Allegro molto e con brio" ist eigentlich eine auf den Charakter des Satzes bezogene Vortragsbezeichnung, insofern finde ich auch diese Argumentation nicht stichhaltig. Sonst könnte man ja bei einem Adagio wirkenden Stück "Presto" drüberschreiben, mit der Fußnote, dass sich dies auf die Zweiunddreißigstel bezieht. Das kann man doch nicht wirklich als überzeugend bezeichnen.
                Also, man kann das Ganze ja gerne langsamer spielen, weil man meint, dadurch gewisse Dinge besser herausarbeiten zu können. Aber zusätzlich solche Begründungen anzuführen, um es auch irgendwie "objektiv" zu legitimieren, das muss m.E. nicht sein. Das ist offenbar einer von den klassischen Schüssen, die nach hinten losgehen.

                Gruß,
                Markus

                Kommentar


                  #83
                  Man kennt doch die Metronomangaben, wo sie stehen. Da ist meist angegeben, ob die Zählung auf Viertel, Halbe oder Achtel zu beziehen ist. Lesenswert ist der Wikipedia-Artikel "Metronom". Beethoven hat nur 25 seiner Werke überhaupt metronomisiert. Vor Beethoven bediente man sich der "natürlichen Tempi der Taktarten", also variiert dann das Metronom, je nachdem ob es sich um einen 3/4 oder 6/8-Takt handelt. Bei einer frühen Beethoven-Sonate wie der op. 7 ist also nicht auszuschließen, daß hier noch nach dieser frühen Denkweise gedacht wird. Das würde dann auch die Bezeichnung "Allegro molto" erklären - damit das Tempo im 6/8-Takt eben nicht zu langsam wird.

                  Gulda und Schnabel sind schon sehr schnell. Arrau z.B. ist auch deutlich langsamer. Was man als "schnell" oder "langsam" empfindet, ist letztlich eine Frage der Hörgewohnheit. Wenn man nur Gulda kennt, wird einem der ABM langsam erscheinen. Ich kann mich mit den "Temporasern" aber nicht anfreunden, seit ich mit ABM und Gilels vertraut bin. Pianistenkollege Michael Korstick schrieb mal, durch Michelangeli habe er diese Sonate überhaupt erst lieben gelernt. (So ist es mir auch gegangen, die Aufnahme ist wahrlich einzigartig in jeder Hinsicht!) Das sei Klavierspiel einer schier unglaublichen Perfektion. Hinter das Niveau dürfe man nicht mehr zurückfallen als Interpret. Nur müsse man den ersten Satz ja nicht so langsam spielem. Ich habe Korsticks Aufnahme daraufhin gekauft, als ich das gelesen habe. Sie beweist nur: Michelangeli hatte Recht mit seinem Tempo. Korsticks "Beschleunigung" überzeugt mich nicht.

                  P.S.: Der Wikipedia-Artikel "Tempo" weist darauf hin, daß die Skala des Mälzel-Metronoms insofern nicht aussagekräftig ist, als da nicht daraus hervorgeht, auf welche Zählzeit (Achtel, Viertel...) sich die Tempoangabae für die jeweilige Satzbezeichnung (Andante, Allegro... ) bezieht. Außerdem darf man nicht vergessen, daß Beethovens Hammerklavier mit einem modernen Konzertflügel nicht vergleichbar ist. Man muß die Wahl des Tempos dem "modernen" Instrument anpassen - was Beethoven auch getan hätte, wenn er denn einen Steinway oder Bechstein von heute zur Verfügung gehabt hätte.

                  Beste Grüße
                  Holger
                  Zuletzt geändert von Gast; 25.10.2010, 10:00.

                  Kommentar


                    #84
                    Das mag ja alles sein, nur geht es am konkreten Fall vorbei - der Metronomwert von Czerny bezieht sich ausdrücklich auf punktierte Viertel.

                    Ich persönlich kann diesem Sonatensatz im langsamen Tempo nichts abgewinnen. Er hat dafür für meine Begriffe auch nicht genug musikalische Substanz.

                    Das Argument mit dem Hammerklavier ist für mich auch absolut nicht nachvollziehbar. Auf einem modernen Flügel kann man doch differenzierter schnell spielen. Also müsste man, wenn schon, dann eher das Gegenteil annehmen.

                    Gruß,
                    Markus
                    Zuletzt geändert von Gast; 25.10.2010, 11:08.

                    Kommentar


                      #85
                      Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
                      Um solche ästhetische relevanten Wertungen und Entscheidungen kommt ein Interpret letztlich nicht herum. Lazar Berman erzählt über die Maxime seines Lehrers Alexander Goldenweiser, einem der Väter der russischen Pianistenschule: "Man muß jeden Ton den man spielt begründen können!"

                      Beste Grüße
                      Holger
                      Hallo Holger,
                      vollkommen korrekt: ein Interpret muß sich entscheiden, einen Weg finden und sein eigenes Verständnis einer Partitur in einem Gesamtzusammenhang präsentieren.
                      Ich selber, also persönlich, kann nicht "wertend" im Sinne einer Gewißheit darüber urteilen, was denn nun richtig sein soll - aber ich kann aus meinem Empfinden heraus zu dem Schluß kommen, daß mir das eine gefällt und das andere nicht. Und mein Empfinden kann konträr zu dem eines anderen sein - erlauben tue ich beide Empfindungen; erlauben tue ich selbstverständlich auch die Diskussion oder Auseinandersetzung über solche Fragen.

                      Allerdings erscheint mir oft die Diskussion dahingehend auszuarten, daß solche Fragen über und zu einem musikalischen Werk mehr Raum und mehr Zeit in Anspruch nehmen, als die Wahrnehmung des musikalischen Inhalts. Da wird Form vor Inhalt gestellt, die musikalische Rezeption zu einem Sachthema und Streitobjekt degradiert - das schreckt mich als Zuhörer eigentlich nur ab. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich - speziell im Bereich der klassischen Musik - Diskussionen im Allgemeinen entziehe.
                      Gruß Thorsten

                      Kommentar


                        #86
                        Hallo Holger!
                        Hallo Markus!

                        Besten Dank für die Mühe zur Beantwortung und Eure aufschlußreichen Antworten, wirklich sehr interessant.

                        Ich habe einmal eine Veranstaltung mit allen 4 Mitgliedern des Alban Berg Quartetts besucht, in der es auch um Notationsgenauigkeit bei Komponisten ging. Es wurde angeführt - sowie Du lieber Holger auch erläuterst- , dass bei Bela Bartok die Notation sekundengenau sei. Ich muss das noch einmal nachprüfen, aber meines Wissens weichen die Streichquartettaufnahmen von den Bartok Quartetten, die ich habe, voneinander doch ab. Die Partituren dieser Quartette besitze ich nicht, aber es scheinen sich dann doch einige nicht an die Partiturvorgaben zu halten. Bela Bartok hat ja auch mit Quartettformationen zusammengearbeitet (zB Ungarisches Streichquartett, deren Mitglieder ihr Wissen selber wieder an die nächste Gerneration weitergegeben haben, zB Takacs Quartet), vielleicht gibt es auch hier von Bartok genehmigte Abweichungen.

                        Hochinteressantes Thema!

                        Herzliche Grüsse

                        Gerhard
                        Zuletzt geändert von Gerhard; 25.10.2010, 14:03.

                        Kommentar


                          #87
                          Ist ja auch eine Frage der Praktikabilität.
                          Nehmen wir an, Du spielst ein Stück, das mit Viertel 120 anfängt, dann kommt eine Passage mit 145, dann eine langsame mit 98, dann ein accelerando auf 158.
                          Da hat man in einer Aufführung schließlich kein Metronom da stehen, man muss sich auf seine Empfindung verlassen, die man beim Spielen gerade hat. Und die kann sich auch von Mal zu Mal verändern.
                          Wer kann schon genau sagen, ich spiele gerade 170, 172 oder 174. Stockhausen konnte das, er hatte ein "absolutes Gehör" für Tempi. Das hat er sich antrainiert für die Uraufführung seines Werks Gruppen, weil da drei Dirigenten gleichzeitig drei Orchestergruppen dirigieren müssen und eine möglichst präzise Synchronizität erforderlich ist. Aber diese Fähigkeit dürfte eher eine Ausnahme sein.

                          Gruß,
                          Markus

                          Kommentar


                            #88
                            Sehr interessant ist übrigens auch Rudolf Kolischs Auffassung und Methode in Bezug auf die Tempi bei Beethoven. Er nimmt die ausformulierten Tempoangaben wie Adagio oder Allegro con brio sehr ernst und ordnet sie, differenziert nach Taktarten, bestimmten Metronomisierungen zu. Im konkreten Beispiel des 6/8-Taktes wären für ihn Allegro con brio punktierte Viertel gleich 132 und Allegro molto gleich 176. Das ist also noch mal ein Stück schneller als bei Czerny.
                            Nach dieser Ableitungsmethodik kommt Kolisch teilweise zu zunächst abenteuerlich erscheinenden Tempi, wie Halbe schneller 200 im Prestissimo-Finale der 5. Klaviersonate. Schaut man sich die Resultate aber genauer an, scheinen sie für meine Begriffe in den meisten Fällen musikalisch sinnvoll zu sein.

                            Gruß,
                            Markus

                            Kommentar


                              #89
                              Zitat von matadoerle Beitrag anzeigen
                              Allerdings erscheint mir oft die Diskussion dahingehend auszuarten, daß solche Fragen über und zu einem musikalischen Werk mehr Raum und mehr Zeit in Anspruch nehmen, als die Wahrnehmung des musikalischen Inhalts. Da wird Form vor Inhalt gestellt, die musikalische Rezeption zu einem Sachthema und Streitobjekt degradiert - das schreckt mich als Zuhörer eigentlich nur ab. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich - speziell im Bereich der klassischen Musik - Diskussionen im Allgemeinen entziehe.
                              hallo Thorsten,

                              mit vielem was Du schreibst, bin ich ja einverstanden. Aber manches vereinfachst Du allzu sehr. "Liebhaber" von Musik sind z.B. Leute, die einen Komponisten lieben oder einen Interpreten und enstprechend oft über Jahrzehnte Platten sammeln, in Konzerte gehen, Wettbewerbe hören usw. Da geht es längst nicht mehr nur um spontanes Gefallen/Mißfallen. Man stellt Vergleiche an und das Urteil fällt sehr differenziert aus - was man an der einen oder anderen Aufnahme schätzt oder auch kritisiert, ist durchaus sehr unterschiedlich. Und aus all dem setzt sich dann ein Gesamturteil zusammen. Und Form und Inhalt gehören bei einem klassischen Werk einfach zusammen - man kann ja auch nicht bei einem antiken Tempel etwa oder einer Plastik die Form vom Inhalt unterscheiden.

                              Beste Grüße
                              Holger

                              Kommentar


                                #90
                                Zitat von Gerhard Beitrag anzeigen
                                Ich habe einmal eine Veranstaltung mit allen 4 Mitgliedern des Alban Berg Quartetts besucht, in der es auch um Notationsgenauigkeit bei Komponisten ging. Es wurde angeführt - sowie Du lieber Holger auch erläuterst- , dass bei Bela Bartok die Notation sekundengenau sei. Ich muss das noch einmal nachprüfen, aber meines Wissens weichen die Streichquartettaufnahmen von den Bartok Quartetten, die ich habe, voneinander doch ab. Die Partituren dieser Quartette besitze ich nicht, aber es scheinen sich dann doch einige nicht an die Partiturvorgaben zu halten. Bela Bartok hat ja auch mit Quartettformationen zusammengearbeitet (zB Ungarisches Streichquartett, deren Mitglieder ihr Wissen selber wieder an die nächste Gerneration weitergegeben haben, zB Takacs Quartet), vielleicht gibt es auch hier von Bartok genehmigte Abweichungen.
                                Hallo Gerhard,

                                der krampfhafte Versuch, die Subjektivität des Interpreten gänzlich auszuschalten hat auch etwas Ideologisches. Da darf man den Komponisten auch mal kritisieren. Tempogestaltung ist eben nicht "objektivierbar", von allen Unwägbarkeiten der Aufführung, vom Raum angefangen bis zum Empfinden der Interpreten, abzulösen. Das finde ich auch gar nicht wünschenswert. Bartoks Positivismus wird hier durch die Aufführungspraxis widerlegt, das zeigen diese Beispiel sehr schön. Der Vergleich mit Stockhausen würde hier hinken. Bei Bartok handelt es sich ja gerade nicht um eine komplett durchrationalisierte serielle Komposition, wo es zur kompositorischen Idee gehört, alles festzulegen, sondern um expressionistische oder klassizistische Stücke.

                                Beste Grüße
                                Holger

                                Kommentar

                                Lädt...
                                X
                                👍