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Valentina Lisitsa

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    #16
    Hallo Holger,

    deiner Kritik an der Mozart - Fantasie würde ich zustimmen. Da zerfällt das Werk tatsächlich in einzelne Teile, ohne eine richtige Bindung.

    Bei der Mondscheinsonate von Beethoven bin ich etwas gespalten. Einerseits gebe ich dir recht: Lisitsa spielt sie sehr "gefällig", ohne große Dramatik. Ich könnte mir aber denken, dass das im Rahmen des doch sehr anspruchsvollen Gesamtprogramms auch so gewollt ist. Quasi eine kleine Verschnaufpause, bevor sie dann mit Rachmaninoff, Scriabin und Liszt noch einmal in die Vollen geht. Ausserdem stelle ich es mir schon schwer vor, einem solchen "Schlachtross" noch eine wirklich neue, eigenständige Interpretation geben zu können. Da gibt es zu viele gute Vorbilder.

    Ganz toll gefiel mir der "Totentanz". Sie hat es damals auch in Dortmund gespielt und es ist ihr Paradestück. Da ist alles drin: Spannung, Dramatik, Trauer und ganz leise, lyrische Passagen. Sie hat es auch jetzt wieder mit einer ungeheuren Intensität und Begeisterung gespielt.

    Ich finde, Lisitsa hat einfach Charisma und eine sehr symphatische Ausstrahlung. Das zeigt sich gerade in der Pause, in der sie Zuschriften auf dem iPad beantwortet. Ich habe nicht alles verstanden, aber sie schien mir sehr witzig und locker zu sein.



    Viele Grüße Bernd

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      #17
      Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
      deiner Kritik an der Mozart - Fantasie würde ich zustimmen. Da zerfällt das Werk tatsächlich in einzelne Teile, ohne eine richtige Bindung.

      Bei der Mondscheinsonate von Beethoven bin ich etwas gespalten. Einerseits gebe ich dir recht: Lisitsa spielt sie sehr "gefällig", ohne große Dramatik. Ich könnte mir aber denken, dass das im Rahmen des doch sehr anspruchsvollen Gesamtprogramms auch so gewollt ist. Quasi eine kleine Verschnaufpause, bevor sie dann mit Rachmaninoff, Scriabin und Liszt noch einmal in die Vollen geht. Ausserdem stelle ich es mir schon schwer vor, einem solchen "Schlachtross" noch eine wirklich neue, eigenständige Interpretation geben zu können. Da gibt es zu viele gute Vorbilder.

      Ganz toll gefiel mir der "Totentanz". Sie hat es damals auch in Dortmund gespielt und es ist ihr Paradestück. Da ist alles drin: Spannung, Dramatik, Trauer und ganz leise, lyrische Passagen. Sie hat es auch jetzt wieder mit einer ungeheuren Intensität und Begeisterung gespielt.

      Ich finde, Lisitsa hat einfach Charisma und eine sehr symphatische Ausstrahlung. Das zeigt sich gerade in der Pause, in der sie Zuschriften auf dem iPad beantwortet. Ich habe nicht alles verstanden, aber sie schien mir sehr witzig und locker zu sein.
      Hallo Bernd,

      verrückt! Das Youtube-Video ist komplett gesperrt heute abend! Die DVD und CD soll bei Decca am 29.6. herauskommen, das ist wohl der Grund. Und ich wollte mir gerade den Chopin und Liszt anhören... Die CD werde ich mir besorgen - irritierender Weise sind bei jpc zwei angezeigt mit unterschiedlichem Preis. Das komplette Programm paßt doch eigentlich nur auf zwei CDs? Schade, daß sie nicht auch die Rachmaninow-Sonate für die CD aufgenommen hat!

      Da gebe ich Dir Recht! So ein Konzert hat seine eigene Geschichte und "Logik" - das mit der "Verschnaufpause" bei Beethoven leuchtet mir ein. Ich finde sie auch total sympathisch - sie hat einen großen "Fankreis" im Internet. Wenn es ihr letztlich zu einem Plattenvertrag verholfen hat, ist das sehr gut!

      Beste Grüße
      Holger

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        #18
        Hallo Holger,

        es gab wohl schon mit der Live-Übetragung in Deutschland Probleme. Ich schätze, dahinter steckt wieder diese Mafia-Organisation namens "GEMA".

        Die Ankündigung der CD bei amazon hat mich auch schwer irritiert. Es scheint wirklich nicht das ganze Programm zu sein. Der Text ist aber auch ziemlich blödsinnig. Lisitsa hat in den vergangenen Jahren mehrere CDs und DVDs herausgebracht, aber leider sind die meistens nur in den USA erschienen, nie in Europa. Trotzdem habe ich sie mir von dort kommen lassen, soweit ich ihrer habhaft werden konnte. Wenn ich richtig informiert bin, soll das Konzert auch noch auf DVD erscheinen, was ja auch Sinn machen würde.

        Schade, dass du den "Totentanz" nicht hören konntest. Das hätte sich gelohnt. Die Nocturnes von Chopin fand ich nicht schlecht, aber auch nicht überragend.

        VG, Bernd

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          #19
          Zitat von B. Albert Beitrag anzeigen
          Hallo Holger,

          es gab wohl schon mit der Live-Übetragung in Deutschland Probleme. Ich schätze, dahinter steckt wieder diese Mafia-Organisation namens "GEMA".

          Die Ankündigung der CD bei amazon hat mich auch schwer irritiert. Es scheint wirklich nicht das ganze Programm zu sein. Der Text ist aber auch ziemlich blödsinnig. Lisitsa hat in den vergangenen Jahren mehrere CDs und DVDs herausgebracht, aber leider sind die meistens nur in den USA erschienen, nie in Europa. Trotzdem habe ich sie mir von dort kommen lassen, soweit ich ihrer habhaft werden konnte. Wenn ich richtig informiert bin, soll das Konzert auch noch auf DVD erscheinen, was ja auch Sinn machen würde.

          Schade, dass du den "Totentanz" nicht hören konntest. Das hätte sich gelohnt. Die Nocturnes von Chopin fand ich nicht schlecht, aber auch nicht überragend.
          Hallo Bernd,

          das irritiert mich auch schwer! Ich hasse diese Verschnittprogramme. Da fehlt dann der Totentanz. Unfassbar und ärgerlich! Vielleicht erscheint der dann nur auf DVD. Idiotisch. Aber so ist das, wenn die Merketingstrategen ein Diktat ausüben.

          Was die Gema in vielen Fällen macht, finde ich auch ziemlich kontraproduktiv. Da ecken die "Piraten" an mit ihren Vorstellungen, haben aber doch wohl in manchen Punkten völlig Recht. Das Urheberrecht ist zwar wichtig, aber wenn es zum Nachteil für die ist, die davon eigentlich profitieren sollen, stimmt etwas nicht mehr.

          Beste Grüße
          Holger

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            #20
            Lisitsa live at Royal Albert Hall (CD)

            „Einen Blumenstrauß für meine Youtube-Fans“ – könnte man diese CD betiteln. Man darf nämlich einen Fehler nicht machen: Sie von Anfang bis Ende durchzuhören. Das Konzertprogramm wurde nämlich wie die Primeln auf dem Feld einzeln gepflückt erst einmal zerpflückt und dann in die Vase gestellt. Die Folge ist leider, dass man diese Kollektion einfach nicht zusammen hören kann. Es beginnt mit dem Rachmaninow-Prelude op. 23 Nr. 5, eher jugendlich forsch gespielt und dann kommt – die Faust aufs Auge, Beethovens „Für Elise“. Danach dann wieder was ganz anderes: Liszts La Campanella Etüde. Das ist als Programmzusammenstellung ein absolutes No go. Man kann sich nämlich überhaupt nicht mehr auf die einzelnen Stücke konzentrieren. Im Konzert war der Rachmaninow und Scriabin ein Block, da gibt es dann eine einheitliche spätromantische Stimmung, wo sich die Stücke wechselseitig beleuchten. Man stimmt sich als Hörer ein und wartet gespannt auf das nächste Stück. Aber bitteschön: Was soll „Für Elise“ zwischen Rachmaninow und Liszt, diese Jungmädchenpoesie aus der Klavierstunde – die sie leider auch so klischeehaft spielt, so dass sich alle darin wiedererkennen, die „Für Elise“ einmal zuhause zum Ärger der Nachbarn geklimpert haben. Man kann freilich solche lyrischen Alben vorlegen mit exquisiten Einzelstücken, das muß aber ein Konzept haben, so wie es Anna Gourari zum Beispiel macht. Wer diese Zusammenstellung „verbrochen“ hat, der hat schlicht nicht verstanden, dass eine CD hören etwas anderes ist als bei Youtube Klicks zu tätigen.

            Diese merkwürdige Zusammenstellung führt zwangsläufig dazu, dass man jedes Einzelstück für sich hört und nicht in einem Milieu, in das sie passen. Entsprechend fallen auch die Schwächen auf. Wirklich hinreißend gespielt ist das Rachmaninow Prelude op. 9 Nr. 2, op. 23 Nr. 2 ist mir zu burschikos. (Es hört sich übrigens so an, als habe sie die Stücke für die CD nochmals aufgenommen.) Das Nocturne op. 9 Nr. 2 ist irgendeine Bearbeitung von Ignaz Friedman vielleicht – man bekommt keine Information im Klappentext. Wohl aber über ihre Vorbilder: Rachmaninow, Josef Hofmann und Wilhelm Backhaus. Von Hofmann – wie seinem bedeutendsten Schüler Shura Sherkassky – hat sie diese Spontaneität, Musik die allein im Moment entsteht und für den Moment geschaffen ist. Ein sehr sinnliches, absolut authentisches Klavierspiel ohne Show-Effekte. Das ist unkonventionell – aber manchmal eben auch etwas zügellos. Bezeichnend die Konzert-Etüde von Liszt „Un sospiro“, ein Seufzer. Da gibt es historische Aufnahmen etwa des Liszt Schülers Frederic Lamond oder von einem Virtuosen alter Schule, Jorge Bolet. Bolets Aufnahmen kann man sich viermal hintereinander anhören: Er hat einfach diese gewisse „Noblesse“ und sentimentalisiert nicht. Lisitza spielt das Stück dagegen so sentimental freizügig wie eine Dame mit einem etwas zu weitem Kleid. Das am besten gelungenste Stück ist für mach das Etude tableau op. 39 Nr. 6 von Rachmaninow, mit dem sie ihre Karriere bei Youtube startete – inszwischen hat sie fast 50 Millionen Klicks! Der Scriabin: Überragend die Etüde op. 42 Nr. 3. Bei dem Poemes op. 32 ziehe ich eindeutig Ashkenazy vor. Bei ihr ist das nur sinnlich – es fehlt diese Mischung aus Raserei und eiskaltem Kalkül, der Hohn und die Wut des „Allegro con eleganza, con fiducia“, eines überdrehten Subjektivismus. Zwangsläufig rückt die Beethoven-Sonate in den Mittelpunkt, wo man wirklich mal länger 3 oder 4 Minuten – endlich – ein und dieselbe Musik hören kann. Eine insgesamt sehr schöne Aufnahme, mit einigen überflüssigen Dehnungen im Trio des Scherzo. Das Presto agitato hat Dramatik. Aber irgendwie hinterlässt das keinen bleibenden Eindruck, dazu fehlt so etwas wie eine interpretatorische Idee die mehr ist, als nur Schönspielerei. Zwei der Rachmaninow-Preludes aus ihrem Programm spielte auch Horowitz in Moskau – wie Horowitz ist auch Lisitsa in Kiew geboren. Welch ein Unterschied! Bei Horowitz hat das Prelude op. 32 Nr. 12 Aura, da merkt man die Wehmut des heimgekehrten Exilanten, der 1917 mit Geld im Strumpf seine Heimat Russland verlassen musste, nachdem die Kommunisten den Flügel der Familie aus dem Fenster warfen. Bei Lisitsa ist das jugendlich forsch. Es hätte wohl gepasst als Antwort und Kontrast zum sehr verträumt vorgetragenen Prelude op. 32 Nr. 5 – aber so auseinandergepflückt als einzelne Blumen wirkt es halt nicht mehr. Bei der nächsten CD jedenfalls – wenn es eine gibt – sollte sie sich etwas mehr Gedanken über eine vernünftige Programmgestaltung machen.

            P.S.: Der Bösendorfer-Flügel klingt wunderbar!


            Beste Grüße
            Holger
            Zuletzt geändert von Gast; 11.07.2012, 19:34.

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              #21
              Hallo Holger,

              Danke für deine Einschätzung. Ich habe die CD noch nicht, und kenne nur das Konzert als Aufnahme bei Youtube. Das hatte mir gut gefallen.

              Zitat von Dr. Holger Kaletha Beitrag anzeigen
              ... Lisitza spielt das Stück dagegen so sentimental freizügig wie eine Dame mit einem etwas zu weitem Kleid.


              Nett ausgedrückt !

              Lisitsa bleibt für mich eine echte Entdeckung. Ich kann die Videos auf Youtube nur empfehlen. Schade, dass die CD so zerrupft ist. Mich würde schon interessieren, inwieweit sie darauf Einfluss genommen hat oder hat nehmen können. Immerhin ist es schon erstaunlich, wie schnell die CD auf dem Markt ist.

              Viele Grüße, Bernd

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                #22
                Hallo Bernd,

                sie hätte wirklich einfach nur das komplette Konzert in voller Länge veröffentlichen sollen. Diese Auskoppelung verzerrt alles. Leider, das finde ich wirklich schade.

                Beste Grüße
                Holger

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                  #23
                  Link zum Konzert

                  Guten Abend,

                  der Link zum Konzert von Youtube scheint wieder zu funktionieren.

                  Weil ich es so gut fand und weil ich meine, dass sie eine möglichst große Zuhörerschaft verdient hat, stelle ich ihn noch einmal ein. Das Konzert vom 19.6.2012 in voller Länge:

                  http://youtu.be/_pCQ1f520o4

                  Viel Spass beim Gucken und Hören !

                  VG, Bernd

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                    #24
                    Der Totentanz ist ja wirklich ein Hammer! Wieso ist das nur nicht auf der CD???

                    Kommentar


                      #25
                      Ich muß es nochmals sagen: Dieses titanische Konzert-Marathon-Programm, was sie da absolviert (fast 3 Stunden) ist aller Ehren wert! Das allein schon verdient hohen Respekt und hätte es verdient, auf der CD auch so dokumentiert zu werden.

                      Kommentar


                        #26
                        Guten Abend,

                        es gibt neue CDs des "Youtube-Stars" Valentina Lisitza:

                        1. Rachmaninow Klavierkonzerte und Paganini Variationen:



                        Mir gefällt sie recht gut, aber die Meinungen gehen auseinander. Es gibt auch Hörer, die ein mangelndes Zusammenspiel zwischen der Solistin und dem Orchester bemängeln. Ich konnte das nicht hören, muss aber auch zugeben, dass Rachmaninow nicht unbedingt mein Fall ist. Zu "russisch" ...

                        2. Lisitza und Hilery Hahn spielen Sonaten von Charles Ives:



                        Da fehlt mir jetzt jeder Vergleich zu anderen Einspielungen. Die Werke selber sind aber sehr schön und die Aufnahmen scheint mir gut gelungen zu sein.

                        2. Liszt:



                        Das Programm liegt ihr. Hier kann sie ihre Virtuosität voll ausspielen und ihr gelingt alles. Vielleicht ist es für wahre Connaisseurs zu wenig "romantisch". Aber ich finde diese etwas "moderne" Interpretation recht gelungen.

                        Für März 2014 ist eine weitere Aufnahme mit Werken von Michael Nyman angekündigt.



                        Da mache ich mir jetzt schon mal einen Knoten in´s Taschentuch ... :H

                        So langsam scheint Lisitza in der öffentlichen Wahrnehmung auch ausserhalb von Youtube angekommen zu sein.

                        Viele Grüße

                        Bernd

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                          #27
                          Lisitsa Etudes Besprechung Teil 1 Chopin Etüden op. 10 und op. 25



                          „Etüden“ heißt schlicht die neueste CD von Valentina Lisitsa. Alfred Cortot sagte zu den Etüden, dass zu ihnen weder ein Virtuose ohne Musikalität, noch ein Musiker ohne Virtuosität Zugang finde. Zweifellos besitzt Valentina Lisitsa beides, erfüllt demnach alle wesentlichen Voraussetzungen für eine überzeugende oder sogar überragende Aufnahme von Chopins Etüdenwerk. Und der Auftakt – die Etüde op. 10 Nr. 1 gehört zu den schwersten des Zyklus – ist wahrlich mitreißend furios! Da fegt sie über die Tasten ihres Bösendorfer im exakten Cziffra-Tempo (1.48 min.), dazu mit Einfühlsamkeit und einer sehr organischen Spielweise. Auch die Etüden op. 10 Nr. 4 und 5 erinnern an Cziffra. Nr. 4 hat wiederum auf die Sekunde genau das atemberaubende Cziffra-Tempo, lediglich in Nr. 5, der „Schwarze-Tasten-Etüde“, ist der ungarische Über-Virtuose noch ein paar Sekündchen schneller. Aber Lisitsa hat mehr als nur Geschwindigkeitsrekorde zu bieten. Eigenes Profil zeigt sie in der Gestaltung von Nr. 11 und 12. Die Arpeggien-Etüde („Allegretto“) trägt sie mit einer anmutenden Leichtigkeit und Zurückhaltung vor, was dann einen wunderbaren Kontrast zu der grandios – spektakulär virtuos und poetisch – gespielten Revolutionsetüde gibt. Letztlich geht es aber auch um die Beantwortung der Frage: Ist diese Gesamtdarstellung nun überzeugend oder überragend? Hat diese Einspielung sogar das Zeug, mit den „Referenzen“, also Arrau, Ashkenazy, Pollini, Perahia oder Vasary, zu konkurrieren? Auch die junge Martha Argerich fegte beim Chopin-Wettbewerb bei op. 10 Nr. 1 im exakten Cziffra-Tempo über die Tasten. Im Vergleich mit Lisitsa von heute hat die feurige Argerich von damals dann doch noch mehr Biss, mehr Dämonie und ist emotional vielschichtiger. Cziffra selbst kann die Beschleunigungen quer über die Tastatur (das sind sperrige Dezimengriffe!) noch irrwitziger vortragen, in Nr. 4 und 5 Chopin noch spektakulärer „liszten“, was freilich höchst unorthodox und sehr freizügig im „Stil“ ist. Nein, Lisitsa zeigt hier einmal mehr Einfühlungsvermögen. Chopin wird trotz spektakulärer Virtuosität nicht in einen exaltierten Liszt verwandelt. Hier muss man noch einmal Maurizio Pollinis Studioaufnahme erwähnen. Mit 1.55 min ist er bei op. 10 Nr. 1 nur minimal langsamer. Das wirkt im Vergleich kühler, sachlicher. Warum? Pollini verzichtet auf dynamisierende Beschleunigungen und Verlangsamungen in der rechten Hand, hat dafür aber unwiderstehlichen „Zug“, spielt wirklich jeden einzelnen Ton gleichmäßig wie vorgeschrieben im Forte in diesem rasanten Tempo. Diese Kraft muss man erst einmal in die einzelnen Fingern bringen – darin ist Pollini einmalig! In Nr. 2, wo man in den drei kleinen Fingern der rechten Hand chromatische Läufe gleichmäßig realisieren muss trotz permanentem Übergreifen und dem Dreiklang, den man mit derselben Hand auch noch zu greifen hat, gelingt Lisitsa das „sempre legato“ zwar vorbildlich, allerdings fehlt der Stachel der rhythmischen Figuren, die von der linken Hand getragen werden. Da wäre etwas mehr Klarheit und Kontrastschärfe wünschenswert. Ausgerechnet die sogar als Schlagermelodie verhunzte ungemein beliebte Etüde Nr. 3 gehört dann zu ihren schwächeren. Die Bassbegleitung ist zu steif und undifferenziert, die Melodie schwingt nicht aus, es fehlt die bei Chopin so entscheidende klare „Linie“. Im virtuosen Mittelteil verfällt sie auf die seltsame Idee, erst das Tempo anzuziehen (was so nicht im Notentext steht). Und anschließend, wo Chopin f „con bravura“ fordert (Takt 48 ff.), wird sie dann überraschend wieder zahm. Bravouröse Wirkung verpufft nicht zuletzt durch die vorausgegangene Tempoverschärfung, wodurch der dynamische Höhepunkt gewissermaßen zu früh kommt. Man höre sich da zum die Maßstäbe zurechtrückenden Vergleich die nur „meisterhaft“ zu nennende Interpretation von Tamas Vasary an, dessen wirklich großartige Chopin-Aufnahmen für die DGG zu Unrecht fast vergessen sind. Hier merkt man gleich, was bei Lisitsa fehlt. Vasary zerteilt die Melodie in Phrasen und Abschnitte, die einander antworten in ihrem gegensätzlichen Charakter. Und er bringt schon im Lyrischen die dramatischen Einbrüche heraus. Dieses Dramatische bricht dann im belebenden Mittelteil gewissermaßen besitzergreifend durch, ein Bewegungszug, den Vasary mit bezwingender Schlüssigkeit auf den „con bravura“ Höhepunkt zu einem kulminierenden Abschluss bringt, um schließlich die Reprise des Themas wunderbar feinsinnig abzutönen: Der Aufbau Ruhe-Bewegung-Ruhe wird ohne jede Verzettelung in Details als tragende Architektur vorgeführt. So wird aus dieser Etüde – fern von jedem melodieseligen Schlager-Kitsch – ein musikalisches Drama, vorgetragen mit klassischer Klarheit und Treffsicherheit.

                          Der poetisch getragenen Nr. 6 fehlt der großbogige dynamische Spannungsaufbau. Die Musik plätschert doch so etwas dahin. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt eine Eigenart Lisitsas, die Einebnung von dynamischen Kontrasten. Die Dynamikspannein op. 10 Nr. 4 geht vom f bis zum fff – Lisitsa bleibt da, sicherlich auch dem irrwitzigen Tempo geschuldet, im eindimensionalen Forte-Bereich. In Nr. 5 wechseln taktweise f und p – Lisitsa zieht auch hier ihr Forte durch. Und ff sind die abstürzenden Oktaven in beiden Händen zum Schluss auch nicht! Zu ihren stärksten Vorstellungen gehört sicher die Etüde Nr. 8. Die Einebnung dynamischer Kontraste, kann man sie in den virtuosen Nummern noch mit dem Tempo quasi „entschuldigen“, so wird sie in Nr. 9 zum leisen Einwand. Das „molto agitato“ trifft Lisitsa zweifellos sehr gut. Die in dieser Etüde so höchst eindrucksvollen Echos verblassen jedoch allzu sehr bei ihr. Chopin notiert hier scharfe um nicht zu sagen gewaltige Kontraste f – pp und ff ritenuto – pp. Bei Lisitsa reduziert sich dieser Gegensatz von mächtiger Präsenz und ästherischem Widerhall auf eine ziemlich unaufregende Forte-Mezzopiano-Abstufung. Mag sein, dass hier der Bösendorfer letztlich nicht die Durchschlagskraft eines Steinways im Obertonbereich hat und Lisitsas Empfindsamkeit Gewaltakte verschmäht. Ein bisschen mehr Saft und Kraft wäre hier aber doch wünschenswert! Auch ist zu bemerken, dass Lisitsas Manier, gleitend, fast schon hastig überstürzt von einer in die nächste Etüde überzugehen, so manches mal störend wirkt. Die Etüden sind als Einzelstücke einfach zu gewichtig, so dass der Interpret dem Hörer eine Atempause durchaus gönnen sollte.

                          Der Zyklus op. 25 beginnt mit einem wunderbar poetischen Stück – einer Legato-Studio, die an Harfenklänge erinnert. Hier packt Lisitsa gleich kräftig zu. Obwohl sie das musikalische Geschehen organisch zu entwickeln weiß, ist der Ton einfach zu vorlaut und forsch. Was ihr hier entgeht, ist das von Chopin vorgeschriebene „sostenuto“. Dieses weiß etwa ein Vladimir Ashkenazy, dem man hier freilich auch die russische Schwere – Rachmaninows Glocken im Hintergrund – deutlich anmerkt, zu realisieren. Nr. 2 ist von beeindruckender Brillianz. Bei Nr. 3 kommt bei Lisitsa ebenfalls eine gewisse russische Schwerblütigkeit durch – das „leggiero“ realisiert sie nicht wirklich. Man vermisst zudem die letzte Klarheit und Präzision. Auch nicht wirklich überzeugend ist die schöne 5. Etüde. „Scherzando“ und „leggiero“ gibt Chopin als Hinweis für den Interpreten – diese leicht skurril zackige Rhythmik kontrastiert mit den wunderbar weich ausschwingenden Bögen des Mittelteils – „Piu lento“. Wohl nur Vladimir Ashkenazy setzt hier die Vorgaben Chopins mit viel Poesie mit bewundernswerter Genauigkeit um. Fast alle anderen Klaviergrößen – von Lipatti bis Pollini – interessieren im Mittelteil mehr die brillianten Kaskaden der rechten Hand im viel zu geschwinden Tempo als diese wunderbare Melodie – eine der schönsten Chopins, die man wirklich mitsingen kann. Lisitsa gelingt hier einfach kein Scherzando – das klingt alles etwas weichgespült ebenso wie der Schluss: Es steht dort im Notentext „con forza fff“! Lisitsa macht daraus ein dämonisches Verdämmern im Piano vor der anschließenden, von ihr überwältigend gespielten Terzenetüde. Eine ihrer stärksten Momente ist die darauffolgende bedeutungsschwere Etüde Nr. 7 Lento, wo sie mit großer Empfindsamkeit und nachdenklicher Intensität den Hörer zu beeindrucken weiß. Die Sextenetüde Nr. 8 ist sicher sehr gut gespielt – aber auch hier kann man klarer und präziser die Chopinschen Linien nachzeichnen. In der Oktavenetüde geht viel an dramatischer Spannung verloren, weil im Oktavenrausch die tragenden, die dramatische Spannung verdichtenden Akkorde zu wenig in den Vordergrund treten. Nr. 11 und 12 bewältigt sie ungemein souverän, im Vergleich mit dem überwältigenden Abschluss von op. 10 wirkt das aber – an ihren überragenden manuellen Fähigkeiten gemessen – eher unspektakulär. Zu bemerken ist zudem, dass beim 2. Band die Einstellung der Mikrophone offenbar geändert wurde. Der Flügel ist direkter eingefangen – dafür aber auch mit deutlichen Klirr-Verzerrungen.

                          Überzeugend oder überragend? Lisitsas Chopin-Etüden bewegen sich auf höchsten klaviertechnischem Niveau, sind einfühlsam und empfindsam gestaltet in den lyrischen Momenten, in den virtuosen Nummern in vielen Fällen virtuos zuspitzend und zupackend. Warum diese bemerkenswerte und hörenswerte Aufnahme sich dann doch nicht mit den ganz großen messen kann, liegt an der fehlenden Geschlossenheit und auch Klarheit sowie letzten Schlüssigkeit der Gestaltung. Eine großartige Aufnahme nicht auf, sondern an der Schwelle zum Olymp.



                          Schöne Grüße
                          Holger

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                            #28
                            AW: Valentina Lisitsa

                            Hallo Holger,

                            danke für deine ausführliche und kenntnisreiche Reszension. Ich kenne diese Aufnahme noch gar nicht, ist mir irgendwie verborgen geblieben.

                            Hier ein Link zu einer Besprechung in der Klassik-Akzente:

                            http://www.klassikakzente.de/valenti...n-und-schumann

                            Es gibt eine DVD mit den Etuden aus dem Jahre 2004.



                            amazon


                            Leider hat sie aber den für Europa falschen Regionalcode, obwohl sie eigentlich Codefree sein soll. Mein voriger BD/DVD-Player konnte sie - nach einem entsprechenden Hack - abspielen, mein jetziger leider nicht. Bei YT findet man einige davon, wenn nicht gar alle, allerdings in eher bescheidener Klangqualität.

                            http://youtu.be/ZTjJjda31rc?list=RDZTjJjda31rc

                            Die wären vielleicht mal einen Vergleich wert. Ich sollte mal versuchen, ob ich die Audiospur ausgelesen bekomme.

                            Übrigens spielt sie auch da auf einem Bösendorfer 273 1925 Concert Grand Piano.

                            Viele Grüße

                            Bernd

                            Kommentar


                              #29
                              AW: Valentina Lisitsa

                              Lieber Bernd.

                              im Klappentext wird auf diese Videoaufnahme auch hingewiesen! Das wäre interessant, ob es da nach immerhin 10 Jahren (die CD-Aufnahme stammt vom Juli dieses Jahres und ist gerade erschienen (Erscheinungstermin offiziell 14.11.)) doch eine Entwicklung gibt. !:Z

                              Schöne Grüße
                              Holger

                              Kommentar


                                #30
                                AW: Valentina Lisitsa

                                Holger,

                                vielen Dank Deine Eindrücke. Genau auf diese Rezessionen habe ich mich sehr gefreut als Du Dich wieder hier angemeldet hast :S
                                Gewerblicher Teilnehmer

                                Happy listening, Cay-Uwe.

                                www.sonus-natura.com

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