Boulez Mahlers 9. u. Kempff in Salzburg 1958
Heute habe ich mir endlich Pierre Boulez Aufnahme der 9. Symphonie von Mahler mit dem Chicago SO vorgenommen (DGG 1995). Ich war gespannt! Wie zu erwarten ist das Orchester fabelhaft. Die ersten drei Sätze eigentlich ideal – perfekt proportioniert und das Orchester spielt in allem Schattierungen der Ausdruckspalette und wie man es von den Chicagoern gewohnt ist selbst bei komplexesten Orchesterpassagen unglaublich souverän und homogen. Boulez ist nicht der Typ Orchestertyrann wie Toscanini oder Karajan, sondern der perfekte Koordinator des Orchesters, der die Musiker gewähren, ihre Musik spielen lässt. So kommen die Qualitäten der vorzüglichen Musiker voll zur Geltung. Er ist wahrlich der „Doctor subtilis“ unter den lebenden Dirigenten – die rhythmische Schwingung des Hauptthemas des Kopfsatzes hört man allerdings doch nur bei Vaclav Neumann. Einwände habe ich eigentlich nur gegen den sehr zügig gespielten Finalsatz (etwas über 21 Minuten!). Wieder muss man das Orchester bewundern, das auch in diesem Tempo der Musik einen dramatischen Ausdrucksgestus abgewinnt. Aber die Kontinuität des Zerfallsprozesses – die Agonie – geht dann des sehr geschwinden Fortschreitens wegen nahezu zwangsläufig verloren und das Verstummen, die Selbstauflösung von Musik, ereignet sich am Schluß dann etwas abrupt. Boulez zeigt mit dieser Aufnahme, dass er ein wirklich bedeutender Mahler-Dirigent geworden ist, der die Partitur vorbildlich genau liest. Eine Bereicherung ist diese Aufnahme zweifellos – „kühl“ jedenfalls ist dieser Boulez-Mahler nicht!
Den anderen Genuß heute bereitete mir Wilhelm Kempff. Kempff gab nur ein einziges Konzert bei den „Salzburger Festspielen“ – 1958 (CD Orfeo). Was für ein phänomenales Klavierspiel! Wilhelm Kempff im Konzert, das ist immer bewusste und durchdachte, intelligent kontrollierte musikalische Freizügigkeit und Spontaneität. Hier zeigt er, dass er „zulangen“ kann. Das ist erstaunlich kraftstrotzend – anders als in seinen meist späteren Studioaufnahmen. Und dann gibt es immer wieder wirklich zauberhaft klangschöne Ereignisse im Pianissimo. Er bekannte im Alter, dass er beim Klavierspielen nicht mehr „schwitzen“ wolle, hier tut er es noch. Die Fantasie op. 17 macht Schumanns kreislerianischer Fantastik alle Ehre. Die schwierige Sprungstelle im zweiten Satz bewältigt er präzise und souverän – da haben sich selbst die Klaviertitanen Horowitz und S. Richter im Konzert verdrückt. Ich freue mich schon darauf, nun auch seine spätere Studioaufnahme zu hören. Seine Bagatellen von Beethoven sind wahrlich keine bagatellen Sachen, sondern von einer nie gehörten seelischen Komplexität. Und in der wunderbaren Brahms-Sonate op. 5 entfaltet Kempff die zerstörerischen Urkräfte. Das ist frei, aber ohne jemals fahrlässig zu werden: die Brahmssche Strenge ist bei aller qausi-improvisatorischen Freizügigkeit trotzdem da. Wie er das immer wiederkehrende „Schicksalsmotiv“ (aus Beethovens 5.) herausmeißelt: geradezu gespenstisch! Die „grandioseste“ Aufnahme der Sonate – ganz anders als der organische Rubinstein, aber nun ebenso meine persönliche Referenz! Die Aufnahmetechnik: Der Flügel klingt ein bisschen „harsch“, aber das macht nichts! Diese Platte ist ein „Muß“ für jeden Klavierfreund!
Fünf Sterne
Beste Grüße
Holger
Heute habe ich mir endlich Pierre Boulez Aufnahme der 9. Symphonie von Mahler mit dem Chicago SO vorgenommen (DGG 1995). Ich war gespannt! Wie zu erwarten ist das Orchester fabelhaft. Die ersten drei Sätze eigentlich ideal – perfekt proportioniert und das Orchester spielt in allem Schattierungen der Ausdruckspalette und wie man es von den Chicagoern gewohnt ist selbst bei komplexesten Orchesterpassagen unglaublich souverän und homogen. Boulez ist nicht der Typ Orchestertyrann wie Toscanini oder Karajan, sondern der perfekte Koordinator des Orchesters, der die Musiker gewähren, ihre Musik spielen lässt. So kommen die Qualitäten der vorzüglichen Musiker voll zur Geltung. Er ist wahrlich der „Doctor subtilis“ unter den lebenden Dirigenten – die rhythmische Schwingung des Hauptthemas des Kopfsatzes hört man allerdings doch nur bei Vaclav Neumann. Einwände habe ich eigentlich nur gegen den sehr zügig gespielten Finalsatz (etwas über 21 Minuten!). Wieder muss man das Orchester bewundern, das auch in diesem Tempo der Musik einen dramatischen Ausdrucksgestus abgewinnt. Aber die Kontinuität des Zerfallsprozesses – die Agonie – geht dann des sehr geschwinden Fortschreitens wegen nahezu zwangsläufig verloren und das Verstummen, die Selbstauflösung von Musik, ereignet sich am Schluß dann etwas abrupt. Boulez zeigt mit dieser Aufnahme, dass er ein wirklich bedeutender Mahler-Dirigent geworden ist, der die Partitur vorbildlich genau liest. Eine Bereicherung ist diese Aufnahme zweifellos – „kühl“ jedenfalls ist dieser Boulez-Mahler nicht!
Den anderen Genuß heute bereitete mir Wilhelm Kempff. Kempff gab nur ein einziges Konzert bei den „Salzburger Festspielen“ – 1958 (CD Orfeo). Was für ein phänomenales Klavierspiel! Wilhelm Kempff im Konzert, das ist immer bewusste und durchdachte, intelligent kontrollierte musikalische Freizügigkeit und Spontaneität. Hier zeigt er, dass er „zulangen“ kann. Das ist erstaunlich kraftstrotzend – anders als in seinen meist späteren Studioaufnahmen. Und dann gibt es immer wieder wirklich zauberhaft klangschöne Ereignisse im Pianissimo. Er bekannte im Alter, dass er beim Klavierspielen nicht mehr „schwitzen“ wolle, hier tut er es noch. Die Fantasie op. 17 macht Schumanns kreislerianischer Fantastik alle Ehre. Die schwierige Sprungstelle im zweiten Satz bewältigt er präzise und souverän – da haben sich selbst die Klaviertitanen Horowitz und S. Richter im Konzert verdrückt. Ich freue mich schon darauf, nun auch seine spätere Studioaufnahme zu hören. Seine Bagatellen von Beethoven sind wahrlich keine bagatellen Sachen, sondern von einer nie gehörten seelischen Komplexität. Und in der wunderbaren Brahms-Sonate op. 5 entfaltet Kempff die zerstörerischen Urkräfte. Das ist frei, aber ohne jemals fahrlässig zu werden: die Brahmssche Strenge ist bei aller qausi-improvisatorischen Freizügigkeit trotzdem da. Wie er das immer wiederkehrende „Schicksalsmotiv“ (aus Beethovens 5.) herausmeißelt: geradezu gespenstisch! Die „grandioseste“ Aufnahme der Sonate – ganz anders als der organische Rubinstein, aber nun ebenso meine persönliche Referenz! Die Aufnahmetechnik: Der Flügel klingt ein bisschen „harsch“, aber das macht nichts! Diese Platte ist ein „Muß“ für jeden Klavierfreund!
Fünf Sterne
Beste Grüße
Holger
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